MOURNING - Trauer über Schachmatt
Offener Brief an Hubertus Schmidt zur Premiere seiner rocksinfonischen Sweet (Suite)
»Grün-Au«
Lieber Hubertus, es gibt wohl Orte und Momente, da sitzt man wie bedeppert da: teils
ergriffen, teils frustriert. Da wären dann Raum und Zeitpunkt, seinen Kindheitsteddy - oder was
von ihm noch übrig ist - hervorzukramen, um ihm das letzte Knopfauge und die Holzwolleinnereien
auszureißen. Am 4. Advent 1996 ist so ein Kaputtmachtag gewesen, da wollten wir dem 20jährigen
Jubilar Grünau das künstlerisch wertvollste Geschenk überreichen. Quasi als Weihnachts- oder
Jubiläumsjahrendpräsent: Deine rocksinfonische Sweet (Suite) »GRÜN-AU«
.
Jenun - ich bin noch nicht blöde: Wir haben sie ja auch überreicht. Doch was für eine Zeugung: die geistige Ejakulation beim Griechen; 15 Monate künstlerische Wehen und Schwangerschaftskomplikationen wegen Ideen, Gelder und Musiker; das Kindbett - ein bescheidenes, ins Kirchenambiente eingepaßtes Bühnenbild aus Grabholz und Kerzen vom Grünauer Querkünstler Werner F. Thim; ein schick-schönes Plakat der Leipziger Kunststudentin Beate Stöckert; als großartiger Geburtshelfer der KOMM e.V. mit u.a. Oberamme Uwe Walther; fünf professionelle Tauf-Musiker aus der Leipziger Rock-, Klassik- und Chansonszene; und…
…tja, schlappe 80 (gleich ein Tausendstel!) Grünauer oder Leipziger (?) die diese Geburt sehen, dieses Präsent haben hören wollten. Am meisten aber hat mich die Abwesenheit der Stadtoberen verwunde(r)t. Ich vermute, Dir ging es ebenso, denn schließlich waren sie ja die eigentlichen Auftraggeber und finanziellen Paten dieser Projektgeburt. (Laß jetzt bitte Deinen Teddy in Ruhe; er kann doch nichts dafür!)
Leider hatte ich aber auch den Eindruck, dass Ihr Euch von soviel Ignoranz habt infizieren lassen. So mag es wohl vor allem Deinen Musikerkollegen am Glauben und Selbstvertrauen in Kraft und Wirkung Deiner Kompositionen und in die eigene Funktion beim Ensemblespiel gefehlt haben, dass die Premiere in der Martinskirche bei weitem nicht die Klangdichte und sphärische Wärme der Voraufführung erreichte, bei der Du am 2. November im KOMM-Haus mit der Sweet in verkürzter Fassung und kleiner Besetzung Ovationen erntetest.
Ich meine, lieber Longi, es waren nicht nur die frostigen Dezembertemperaturen, die die
Aufführung in der Kirche unterkühlt haben, nicht nur die allgemeine kommunale
»Kultureiszeit«
, sondern eben auch »kalte«
Künstler, bei
denen sich nicht so recht Spieltrieb, Harmonie und fulminates Miteinander einstellen wollte: Da
zupft Stargitarrist Hans Graff eine gar sonderbare Klampfe; miemelt der sonst so powernde
Drummer »Yogi«
Franke am Schlagzeug herum wie Oma am Kochtopf, und Susanne
Grütz samt Texte hatte auch schon bessere Zeiten erlebt.
Einzig Kati Tanner an der Violine überzeugte im Verbund mit Dir an den Tasten. Bleibt zu
vermuten, dass sie (und natürlich Du selbst) am besten Deinen kompositorischen Intensionen
folgen konnte: »Wenn du’s nicht fühlst, du wirst es nie erjagen«
(Goethe: Faust). Nein: Assoziative Dimensionen der Suite-Stücktitel wie z.B. »CRAZZY
LOVER«
, »WILD-WEST-GRÜNAU«
oder »FRANZ SCHUBERT SPAZIERT
AUF DER SCHÖNAUER STRASSE«
oder eben »GRÜN-AU«
erreichte diese
Adventsaufführung leider nicht. Aber das gehört wohl (auch) zum (Plan)SPIEL GRÜNAU.
Und bevor Du mir die Freundschaft aufkündigst, sei wiederholend gesagt, dass Du mit dieser SWEET dem vielgeschmähten, geliebt-gehaßten Neubaustadtteil Leipzig-Grünau ein nicht nur in Deutschland einmaliges musikalisches Denkmal gesetzt hast, das weit mehr Beachtung verdient, als bisher bekommen.
Gerade deshalb wünsche ich allen Konzertignoranten allen Gram über die verpaßte Gelegenheit
und »sweet«
Albträume. Oder sollte es noch eine zweite, dritte Gelegenheit
dazu geben? Weg vom (Grünau) Fenster, kann ich selbst vorerst nur davon träumen.