Die Kornrade ist Blume des Jahres 2003
Die Hamburger Stiftung zum Schutz gefährdeter Pflanzen hat die Kornrade zur Blume des Jahres 2003 ernannt. Damit fiel die Wahl auf ein Ackerwildkraut, das heute in Mitteleuropa kaum noch Überlebenschancen hat. Perfekt angepasst an den Jahresrhythmus des Getreides, wird ihr diese Spezialisierung nun zum Verhängnis. Die Kornradensamen sind im Boden nur kurze Zeit keimfähig und müssen deshalb zusammen mit der Getreidesaat Jahr für Jahr neu ausgebracht werden. Bei der modernen Saatgutreinigung werden jedoch alle Fremdsamen ausgefiltert und so werden die leuchtend blühenden Kornraden bald nur noch in Freilichtmuseen zu bestaunen sein.
Ihr Schicksal steht für das vieler anderer Ackerunkräuter. In Sachsen sind mehr als ein Viertel der Unkrautarten vom regionalen Aussterben bedroht und es gibt inzwischen schon Naturschutzgebiete für Unkräuter. Besonders stark bedroht sind Arten, die wie die Kornrade für den Menschen und einige Haustiere giftig sind (für Schweine und Geflügel ist die Kornrade stark giftig, nicht aber für Schafe, Hasen und Kaninchen). Das Verschwinden der Unkräuter hat weitreichende Folgen: Im Durchschnitt leben auf einer Pflanzenart etwa 10 auf diese Art und ihre nächsten Verwandten spezialisierte Insekten, darunter viele Schmetterlinge bzw. ihre Raupen. Die wiederum dienen anderen Tieren als Nahrung.
So brauchen Rebhühner für ihre Jungen viele verschiedene Insekten als Nahrung und Hasen brauchen für ihren Nachwuchs abwechslungsreiches Grünfutter. Da beides auf unseren herbizidbehandelten Feldern kaum noch vorkommt, sind Hasen, Rebhühner und viele andere Tiere selten geworden oder wie die Großtrappe vom Aussterben bedroht. In Grünau gibt es inzwischen pro Fläche mehr Hasen als auf den Feldern in der Umgebung, weil auf den Grünflächen zwischen den Wohnblocks immer noch eine beeindruckende Vielfalt an Pflanzen wächst. Zumindest wer einen Garten hat oder den Vorgarten pflegt kann einiges tun, um Unkräuter und damit die ihnen lebenden Tiere vor dem Aussterben zu bewahren:
- grundsätzlicher Verzicht auf alle chemischen Pflanzengifte
- Unkräuter nur soweit zurückdrängen, dass die Nutzpflanzen nicht überwuchert werden, überall, wo diese Gefahr nicht besteht, wachsen lassen.
- Es gibt inzwischen auch Samen von Wildblumen und schön blühenden Ackerunkräutern zu kaufen. In solchen Mischungen sind neben der Kornrade auch Kornblumen, Klatschmohn und andere wilde Schönheiten enthalten. Säen Sie einmal statt hochgezüchteter Zierpflanzen solche Wildblumen auf ein Beet im Garten oder auch in den Blumenkasten auf dem Balkon.
- Mähen Sie Ihren Rasen möglichst selten und lassen Sie Wildkräuter im Gras wachsen und blühen.
Aber auch wer keinen Garten hat kann einiges tun. Wichtig ist es zum Beispiel sich für den
Erhalt einiger von Unkraut überwucherter Ödlandflächen in Grünau einzusetzen. Ohne solch
»liederlichen«
Ecken könnten eine Reihe von Vögeln und bunten Schmetterlinge in Grünau nicht
mehr leben und auch die jungen Hasen fänden weder ausreichend Nahrung noch Deckung. Hilfreich
ist es auch, die Biobauern, die keine Pflanzengifte einsetzen, zu unterstützen,
indem Sie wenigstens ab und zu deren Produkte kaufen.
Der konventionellen Landwirtschaft hat ihr chemischer Krieg gegen die Unkräuter übrigens wenig Nutzen gebracht. Die Zahl der Unkrautarten auf den konventionellen Feldern hat sich zwar drastisch verringert, dafür wachsen nun aber einige mit den Nutzpflanzen eng verwandte Unkräuter, denen die Herbizide nichts anhaben, umso zahlreicher. Viele Nützlinge sind verschwunden und auch der Nutzen vieler Unkräuter steht den Landwirten nicht mehr zur Verfügung. Ja, Sie haben richtig gelesen, viele Unkräuter sind ausgesprochen nützlich. Dazu als Abschluß einige Beispiele:
- einige blühende Arten (darunter die Kornrade) bieten Nützlingen Nahrung, deren Junge fressen dann Schadinsekten. Das gilt zum Beispiel für Schwebfliegen und Wespen (Wespen jagen für ihren Nachwuchs Insekten, vor allem Fliegen und Mücken).
- Einige Arten wie die Melde geben Stoffe an den Boden ab, die es den Pflanzenwurzeln erleichtern, Nährstoffe aufzunehmen
- Andere vertreiben Bodenschädlinge oder sind für diese giftig
- Stark riechende Unkräuter irritieren Schadinsekten und vertreiben sie von den Nutzpflanzen in ihrer Nachbarschaft. So schützt Beifuß Kohl vor den Kohlweißlingen.
- Viele Unkräuter durchwurzeln den Boden viel tiefer als Nutzpflanzen, halten ihn locker, bieden Bodentieren Nahrung und holen Nährstoffe aus größeren Tiefen an die Oberfläche. Wenn die Unkräuter dann absterben stehen diese Nährstoffe auch den Nutzpflanzen zur Verfügung.
- Unkräuter kommen auch mit stark verdichteten Böden zurecht und helfen, die Bodenfruchtbarkeit zu verbessern.
Nicht verschweigen will ich aber auch, dass einige Arten als Zwischenwirte für Blattläuse dienen oder dazu beitragen können, Pilzkrankheiten zu verbreiten. Nach meinen Erfahrungen überwiegt der Nutzen. So hatten wir letztes Jahr in unserem unkrautfreundlichen Garten kaum Ärger mit den Nacktschnecken, unter deren Gefräßigkeit viele Nachbarn stöhnten und auch die zahlreich umherschwirrende Kohlweißlinge haben unseren Kohl kaum mit ihrem verfressenem Nachwuchs beglückt. Ich freue mich schon auf die reichliche Ernte, die Rosenkohl und Grünkohlpflanzen versprechen.
Aber abgesehen von alldem, ich finde Kornrade, aber auch Kornblumen und Klatschmohn
einfach schön.
L. Kasek