Der Wolf - »Tier des Jahres 2003«
Der Wolf ist Tier 2003. Das entschied die Schutzgemeinschaft Deutsches Wild. Der Urahn unserer Haushunde ist nach EU-Recht geschützt. In den letzten Jahren sind zweimal Wölfe aus Polen in Deutschland eingewandert. Das erste Mal Anfang der 90er Jahre nach Brandenburg. Trotz intensivem Schutzes und des Engagement der Brandenburger Regierung wurden die Brandenburger Wölfe aber wahrscheinlich wieder ausgerottet.
Der zweite Ansiedlungsversuch verlief glücklicher. Mitte der 90er Jahre hat sich auf einem Übungsplatz der Bundeswehr in äußersten Nordosten Sachsens ein weiteres kleines Rudel in Deutschland angesiedelt. Der Kommandeur des Übungsplatzes unterstützte umsichtig die Schutzbemühungen, so dass sich das Rudel fest ansiedeln, vermehren und ausbreiten konnte. Sachsen ist damit im Moment wahrscheinlich das erste deutsche Land, in dem wieder Wölfe leben.
Der Wolf ist ein scheues Tier, der dem Menschen weitgehend aus dem Weg geht. Nach internationalen Untersuchungen sind Angriffe auf den Menschen extrem selten. Aus den letzten Jahrzehnten gibt es keinen einzigen verbürgten Fall, dass irgendwo auf der Welt Wölfe gesunde Erwachsene angegriffen haben. Es gab einige wenige Angriffe auf Kinder und gebrechliche Alte, wenn diese nachts allein in das Kerngebiet eines Rudels eingedrungen waren. Auch Angriffe auf Nutztiere wie Schafe sind selten. In Sachsen gab es bisher einen Fall. Die Verluste waren hoch, weil die Weidetiere bei einem Angriff nicht fliehen und schon gar nicht ruhig stehen bleiben. In beiden Fällen würden die Wölfe ein Tier schlagen und dann abziehen. Die Weidetiere rennen jedoch chaotisch und laut blökend durcheinander. Da das bei Wildtieren nicht vorkommt, fühlen sich die Wölfe bedroht und greifen zur Verteidigung an bis alles ruhig ist. Dieses Verhalten hat den Wölfen fälschlich den Ruf eines blutrünstigen Raubtieres eingebracht.
In Wahrheit verringern sich durch die Wölfe Schäden an Weidetieren. Wölfe vertreiben nämlich konsequent verwilderte Hunde aus ihren Revieren. Diese verwilderten Hunde haben im Gegensatz zu den Wölfen kaum Scheu vor den Menschen und auch keine festen Reviere aus denen sie alle Konkurrenten vertreiben und damit verhindern, dass das Revier zu viele Raubtiere hat. Verwilderte Hunde und auch Bastarde zwischen Wolf und Haushund sind daher tatsächlich gefährliche Tiere, die regelmäßig auch Menschen angreifen. Durch Beseitigung dieser Bestien haben die Wölfe zB in den französischen Alpen nach ihrer Einwanderung aus Italien den Schaden an Weidetieren um 905 verringert. Wölfe erbeuten fast nur junge oder kranke Tiere. Ein großer Teil ihrer Beute ist Aas. Sie verhindern damit wirksam die Ausbreitung von Krankheiten, die wie die Maul- und Klauenseuche auch auf Nutztiere übergreifen können. Leben zuviel Rehe, Hirsche und Schweine im Wald, sorgen die Wölfe wieder für ein natürliches Gleichgewicht zwischen Vegetation und Wild. Verbissschäden an Bäumen hören dann auf. Wollte ein Jäger dasselbe leisten, müsste er mit seiner Beute erst einige Kilometer um die Wette laufen und dürfte auch dann nur schießen, wenn die Beute eine bestimmte Mindestgeschwindigkeit nicht geschafft hat, sei es weil sie krank war oder durch Mangel an gutem Futter geschwächt. In den Revieren der Wölfe gibt es daher zwar meist weniger Wild. Das aber ist erheblich größer, kräftiger und gesünder als in wolfsfreien Revieren.
Die Sagen und Greuelmärchen über die »blutrünstigen«
Wölfe gehen wahrscheinlich ausnahmslos
auf schlechte Erfahrungen unserer Vorfahren mit verwilderten Hunden zurück. Während des
dreißigjährigen Krieges nahmen solche Angriffe so große Ausmaße an, dass eine regelrechte
Wolfshysterie ausbrach und damit der wichtigste Verbündete des Menschen gegen verwilderte Hunde
erbarmungslos dezimiert wurde. Die Kosten für die langwierigen Treibjagden waren immens. Die
Wölfe hätten einige hundert Jahre gebraucht, um vergleichbaren Schaden zu verursachen. Viele
Bauern wurden ruiniert oder in Hungersnöte getrieben, weil sie statt ihre Felder zu bestellen
von den Landesherren gezwungen wurden, wochenlang als Treiber unterwegs zu sein. Als Ergebnis
war der Wolf in vielen Gebieten Deutschlands Anfang des 18. Jahrhunderts ausgerottet. Endgültig
war der Ausrottungsfeldzug gegen die Wölfe auf dem Gebiet des heutigen Deutschland Anfang des
19. Jahrhunderts besiegelt.
In Brandenburg ist diese alte Hysterie wieder aufgeflammt. Die aus Polen eingewanderten Tiere wurden entgegen scharfer Verbote abgeschossen. Ertappt behaupteten die Jäger hinterher, sie hätten das Tier in der Dämmerung für einen verwilderten Hund gehalten. Meist wurden die abgeschossenen Tiere aber einfach an Ort und Stelle vergraben. Nicht selten setzen sich diese Wolfshysteriker engagiert für den Schutz von Löwen und Leoparden in Afrika ein. Wie soll das die Bevölkerung dort überzeugen, wenn wir unsere Raubtiere hemmungslos abschießen?
Hoffen wir, dass den sächsischen Wölfen dieses Schicksal erspart bleibt. Wölfe sind nützliche Wildtiere, die viel zur Gesundung des Waldes und seiner Tiere beitragen. Sie sorgen selbst dafür, dass sie nicht überhand nehmen, indem sie überzählige Tiere aus ihren Revieren vertreiben. Ein Wolfsrevier umfasst etwa 400 bis 500 km2, zu ihm gehören je nach Nahrungsangebot etwa 5 bis 9 Tiere. Geschichten von riesigen Rudeln, die mehrere hundert Wölfe umfassen sind reine Märchen. Nur in Notzeiten können sich kurzzeitig zwei oder drei Rudel zusammenschließen. Aber mehr als 20 bis 25 Tiere sind es auch dann nicht. Zu unserem Schutz genügt es, junge Wölfe konsequent aus der Nähe menschlicher Siedlungen zu verjagen. Unerfahrene Tiere kommen manchmal heran, um Abfall zu fressen. Das passiert aber selten und notfalls genügt es, Ihnen einige Gummigeschosse entgegenzuschicken. Sie frischen dann sehr schnell ihre alte Angst gegen uns Menschen wieder auf. Die führen übrigens dazu, dass es für Touristen in Wolfsrevieren fast aussichtslos ist, zu versuchen, Wölfe zu beobachten.
Bis zur Etablierung der Wölfe in Sachsen war Deutschland das einzige größere europäische
Land, in dem es keine Wölfe gab. Bezogen auf die Fläche hat übrigens Bulgarien die größte
Wolfsdichte in Europa. Wölfe sind eine wichtige Bereicherung unserer Tierwelt. Sie gehören seit
Jahrtausenden zu unserer Heimat und verdienen unseren Schutz.
Dr. L. Kasek