Neptun mit neuem Schatz
»Was geht denn hier ab«
, wundert sich ein erstaunter Badegast am Kulkwitzer See am Freitag, dem 19.
August. An der historischen Schiffsgaststätte fährt eine größere Fahrzeugkolonne vorbei in Richtung Campinginsel zur
Tauchereinstiegstelle III der »Leipziger Delphine«
. Auf einem Tieflader ist eine zirka 14 Meter lange
Barkasse zu sehen, naturbelassen, im Rohbau, ohne jegliche Farbe. »Wird es hier bald ein zweites Schiff
geben?«
Einige Badegäste laufen der Kolonne neugierig hinterher...
Reinhard Gräfe von der Tauchschule »Delphin«
erklärt, dass am nächsten Tag der Unterwasserpark des
Tauchsportvereins erweitert wird. Schon seit vielen Jahren hat er die Idee, ein Schiff als attraktives Taucherziel im
Kulkwitzer See zu haben. »Alleine kann ich so ein Vorhaben natürlich nicht verwirklichen. Dazu braucht man viele
fleißige Helfer. Und so entstand zwischen den ›Leipziger Delphinen‹, dem 1. Pionierbatallion 701 aus
Gera, der DLRG und dem THW ein Gemeinschaftsprojekt. In zirka 24 Meter Tiefe wird die alte Barkasse ›Geschwister
Scholl‹ verankert und soll den Tauchern als Übungs-, Ausbildungs- und Trainingsplattform im kristallklaren Wasser
des Sees dienen.«
Unterwasserfotografen finden dann neben den schon vorhandenen Tauchzielen, die zum Beispiel an den ehemaligen Tagebau
erinnern oder der alten Piper, ein weiteres ideales Fotomotiv. Jürgen Reins, stellvertretender Vorsitzender der
»Leipziger Delphine«
, schwärmt: »Ein Schiffswrack hat schon immer eine faszinierende Wirkung
und magische Anziehungskraft auf jeden Taucher ausgeübt.«
Auch dieses Schiff hat eine Geschichte: 1953 gebaut, an der Ostseeküste beheimatet, war es nicht seewasserbeständig,
gehörte seit 1958 dem Wassersportclub Dresden Löschwitz e.V. Knapp 40 Jahre war das Schiff zum Beispiel auf Elbe, Havel,
Oder und Müritz als Schlepp-, Sicherungs-, Begleit- und Versorgungsfahrzeug unterwegs. Eine 1996 geplante Instandsetzung
verzögerte sich mangels Zeit, Geld und Enthusiasten. 2002 wurde die »Geschwister Scholl«
Opfer der
Flutkatastrophe - Diagnose: Totalschaden. Da ergab sich die Gelegenheit für die Taucher »Leipziger
Delphine«
, das Boot zu übernehmen.
Die Bundeswehr fand das Projekt interessant, beteiligte sich intensiv an den Arbeiten, zerlegte das Boot in Dresden in
zwei Teile und half so beim Transport nach Leipzig- Lindenau auf das Grundstück des Fuhrunternehmens Bachmann. Seit 2003
hatte Herr Bachmann die »Leipziger Delphine«
zu Gast. »In zirka 2500 Stunden wurde das Boot
unterwasserrenoviert «
, erinnert er sich. »Delphin«
- Taucher Jens Näser berichtet, dass das
Boot nach Fertigstellung von neun Tonnen Gewicht auf 3,6 Tonnen »abgemagert«
ist.
Die notwendige »Schlankheitskur«
ergab sich zum Beispiel dadurch, dass Motor, Getriebe sowie die Holzverkleidung entfernt
und das Boot von sämtlichen umweltbelastenden Stoffen befreit wurde, um die Barkasse »kulkifein«
, das
heißt umweltfreundlich zu machen. »Jens Näser und Marcus Gräfe haben sich besonders engagiert«
, hebt Dr.
Petra Pfrepper, Vorsitzende der »Leipziger Delphine«
, deren Einsatz hervor.
Freifrau v. Fritzsch vom Umweltamt Leipzig und Zweckverband Erholungsgebiet Kulkwitzer See bestätigt: »Alle
Auflagen wurden erfüllt. Der See liegt uns sehr am Herzen. Sicher ist, dass es keine Umweltbelastung für den See und dessen
gute Wasserqualität gibt. Die Sicherheit der Taucher ist gewährleistet«
. Sie freut sich, dass dieses wahrlich
nicht alltägliche Ereignis im Rahmen des 5. Leipziger Wasserfestes stattfindet und hebt das besondere Engagement der
Taucher für den See hervor. Noch einmal soll es romantisch werden für die alte Barkasse und so dreht sie am Abend des 19.
August eine kleine und letzte Runde auf dem »Kulki«
während des Sonnenunterganges. »Juhu, es
schwimmt, scheint dicht zu sein«
, Freude bei den Tauchern. Jens Näser gönnt sich einen Freudensprung ins kühle
Nass. Ein kleines Feuerwerk umrahmt festlich diese letzte Fahrt.
»Neptun«
, alias Steffen Hanschmann, ist auch an Bord und zeigt sich einverstanden mit dem neuen
Schatz in seinem Reich: »Mir sind ein organisierter Freizeitsport und attraktive Angebote mit lohnenden
Aktivitäten lieber als unkontrolliertes Tauchen an Stellen im See, die oft gefährlich sind.«
Stolz sind sie alle,
die an dieser Aktion beteiligt waren. Das Boot ist geschmückt und auf 26 Wimpeln sind die Namen aller Personen, Firmen und
Organisationen verewigt, die geholfen haben, das Vorhaben zu verwirklichen. 20. August - es ist so weit: Spannung macht
sich breit am Westufer des Sees. Leipziger Delphine, DLRG, Bundeswehr und THW sind im Einsatz. Die Unterwasserbefestigung
des Bootes ist vorbereitet, Schwimmkörper sind angebracht, um ein unkontrolliertes Absinken zu verhindern. Wasser wird in
den Schiffskörper gepumpt, die Barkasse neigt sich und zirka 11.30 Uhr sinkt sie unter Beifall von hunderten beeindruckten
Zuschauern, begeisterten »Landratten «
und jubelnden »Delphinen«
in Neptuns
Reich.
Die Faszination an der Situation ist zu spüren: »Das hat echt nicht jeder See zu bieten«
, meinen
Gäste aus Holland, die zum ersten Mal am »Kulki«
sind. »Spektakulär«
, beschreibt
Christian Conrad, Geschäftsführer der LeipzigSeen GmbH, die neue Taucherattraktion. Bernd Walter, ehemaliger Bootsmann auf
der »Scholl«
, schaut mit wehem Herzen zu, wie sein Boot, auf dem er seit 1958 fuhr, im See versinkt. Er
ist traurig, meint aber: »Als Tauchziel immer noch besser als der Schrottplatz.«
Zur Erinnerung gab es
an diesem Tag eine philatelistische Ganzsache (Sonderbriefumschlag) mit dem Text »1. Schiffsversenkung im
Kulkwitzer See«
und einem Bild der Barkasse »Geschwister Scholl«
. Reinhard Gräfe bedankt sich
auf diesem Weg bei allen, die geholfen und mit Können, Ruhe, Besonnenheit und Sicherheit zur perfekten Aktion beigetragen
haben. Er sagt DANKE für stundenlange, oft schwere, anstrengende Über- und Unterwasserarbeit.
Erstaunlich war zu beobachten, wie eine Idee eine Gemeinschaft begeistern kann. Wir sind gespannt, auf die nächste Idee
der »Delphine«
und wünschen allen Tauchern im Kulkwitzer See allzeit »Gut Luft«
.
Elke Göbel