Von Nieren, Bananen und anderen Dingen
Diskussion um Stadtumbau geht weiter
Stadtumbau in Grünau kann man mittlerweile getrost als rotes Tuch bezeichnen - sowohl für diejenigen, die ihn vorantreiben wollen, als auch für die, die damit leben müssen. Nach der öffentlichen Vorstellung der Entwicklungsstrategie 2020 Anfang Februar hat sich eines zumindest herauskristallisiert: Hier besteht noch jede Menge Erklärungsbedarf. Wollte man nicht den Anschein erwecken, über die Interessen und Ängste der Grünauer hinwegzugehen, musste man dem gerecht werden. Mit drei Veranstaltungsabenden ging daraufhin die öffentliche Debatte im März in die zweite Runde. Ziel war jedoch nicht, präzise Antworten auf dringliche Fragen zu geben, sondern mit Bewohnern und Gewerbetreibenden im so genannten Stadtumbaugürtel (WK 5.1, 7 und 8) direkt ins Gespräch zu kommen, Anregungen einzuholen und Vorhaben detaillierter zu erläutern.
Ins Gespräch zumindest kam man sofort und schnell wurde klar, was die Leute so richtig auf die Palme
bringt: Sie fühlen sich nicht ernst genommen. »Wir werden doch hier verkohlt«
, spricht es einer aus.
Ein anderer sagt es drastischer: »Stadtumbau ist verbale Verarschung. Das ist doch eigentlich nur
Abriss.«
Letzteres räumte sogar Karsten Gerkens (Leiter des ASW) im Gespräch mit den Gewerbetreibenden
ein. Zwar sprach er natürlich nicht von bewusster Täuschung, aber er gab zu, dass das, was in den
zurückliegenden Jahren in Grünau unter der Bezeichnung Stadtumbau geschah, im eigentlichen Sinne keiner
gewesen sei. Vielmehr wolle man nun damit beginnen, strategisch vorzugehen. Bei dem Wort Strategie
jedoch meinen die meisten Grünauer allerdings zu wissen, dass es lediglich eine Taktik gäbe - nämlich,
Platz zu schaffen für Eigenheime in erstklassiger Lage - am Kulkwitzer See oder an den Schönauer
Lachen. Die vom ASW mit dem Stadtumbaumanagement betraute »Wüstenrot Haus- und Städtebau GmbH«
wirkt
dabei wie das sprichwörtliche Öl im Feuer der ohnehin hitzigen Debatte.
Nun könnte man zwar argumentieren, dass der gemeine Bürger lediglich seine persönliche Sichtweise hat, aber über unzureichende Sachkenntnis verfügt und daher nicht objektiv genug ist, um die Problematik als Ganzes zu betrachten. Das mag sogar zutreffend sein. Aber das Konzept, so wie es jetzt vorgestellt wurde, ist nicht nur den Grünauern ein Dorn im Auge, sondern wird auch von einigen Vertretern der Wohnungswirtschaft als unzulänglich beurteilt. Mehr noch: Sie verweigern die Kooperation mit der Stadt, sollte diese am Stadtumbaumanager festhalten. Dies allerdings ist fatal. Denn die Kommune ist, wie sie selbst immer wieder betont, bei der Umsetzung ihrer Stadtumbauziele auf die Zusammenarbeit mit den Unternehmen angewiesen. Zwar wäre die Strategie mit ihrer angestrebten Beschlussfassung durch den Stadtrat eine Grundlage, auf der man auch politisch handeln könnte, doch letztlich könne man Niemanden zum Abriss oder aber zum Erhalt seines Eigentums zwingen - zumindest dann nicht, wenn dieser mit Eigenmitteln agiert.
Dass Stadtumbau nur im Schulterschluss aller Verantwortlichen funktioniert und alles andere zur Farce wird, verdeutlicht sich an zwei Beispielen: Zum einen macht die WBG Kontakt mit ihrem klaren Bekenntnis zu Grünau und ihren Häusern den Stadtplanern einen dicken Strich durch deren schönes Strategiepapier. Denn statt sich aus dem Stadtumbaugürtel zurückzuziehen, verkündete die Genossenschaft, jetzt erst recht zu sanieren und damit die Bewohner in den Randlagen Grünaus zu halten.
Die WOGETRA hingegen torpediert das Konzept, in dem sie ihre Elfgeschosser in der Breisgaustraße aller Voraussicht nach zunächst nicht sanieren wird. Obwohl diese im Stadtumbauplan eindeutig als Aufwertungsmaßnahme gekennzeichnet sind. Grund dafür ist die Verwehrung von Fördergeldern für die bereits konzeptionell geplante Reduzierung der Geschosse von elf auf acht. Diese sehr wichtige Info fiel im Nebensatz an einem der drei Veranstaltungsabenden und wahrscheinlich auch nur aus Versehen. Tags zuvor bemühten sich Bewohner dieser Straße vergeblich um eine Auskunft der Veranstalter und einer Vertreterin der WOGETRA bezüglich der Zukunft ihres Wohnumfeldes. Verunsichert wurden die Grünauer durch verhinderte Neuzuzüge in diesen Häusern - oftmals in der Vergangenheit die Vorstufe zum Leerzug und letztlich Wegbereitung zum Abriss. In einem kürzlich an die Mieter ergangenen Schreiben relativiert die WOGETRA dies zwar. Die Unsicherheit dürfte jedoch nicht ganz aus dem Weg geräumt sein, zumal die Genossenschaft in ihrem Mieterbrief eine Beteiligung an weiteren Foren den WK 4 betreffend ablehnt. Dies alles spricht nicht gerade für eine gute Zusammenarbeit und stellt die ohnehin spärlichen Aussagen der Strategie und des Plans in Frage.
Apropos Plan: Nach heftiger Kritik von wahren Grünau-Experten wurde dieser überarbeitet und den
Veranstaltungsbesuchern als aktuell präsentiert. Abgesehen von neuerlichen Unrichtigkeiten, sorgten vor
allem die so genannten Stabilisierungskerne für hartnäckige, wenngleich ziemlich kuriose Diskussionen.
Die im WK 8 lieblos hingekritzelte »Niere«
mit Entwicklungspfeil in Richtung Ratzelstraße sei
kompletter Blödsinn, meinte Bernd Puckelwaldt - einstiger Erbauer der Großsiedlung. Blödsinn deswegen,
weil an der Stelle, wo sich laut Plan etwas entwickeln soll, eigentlich schon alles entwickelt sei. Der
Pfeil, wenn man es als solches darstellen möchte, sollte doch bitte in Richtung Kirschbergsiedlung oder
aber Lützner Straße zeigen. Sigfried Schlegel, Stadtrat, ebenfalls Erbauer und neuerdings noch
Mitarbeiter der »Kontakt«
schloss sich dem an und ergänzte, dass aus der
»Niere«
unbedingt eine
»Banane«
entlang der Straße am See werden müsse - zumindest grafisch...
Dies sind zwar nur kleine Korrekturwünsche, die allerdings verdeutlichen, worum es den Grünauern tatsächlich geht: Planungssicherheit. Wenn es auch jeder anders benannte - letztlich kam man immer wieder zu diesem Punkt. Die mehr oder weniger präzisen Aussagen jedoch konzentrieren sich auf den Handlungszeitrahmen 2007/2008 - mehr Sicherheit haben die Verantwortlichen nicht zu bieten. Verständlich einerseits - hängt es doch von ganz verschiedenen, stellenweise kaum vorhersehbaren Faktoren ab. Gewerbetreibende, bei denen nicht nur die Wohnung sondern die gesamte berufliche Existenz auf dem Spiel steht, fordern jedoch zu Recht ein Mindestmaß an Sicherheit. Hans-Jürgen Köhn, Vertreter des Konsums, der im Stadtumbaugürtel drei Filialen betreibt, sprach aus, was vielleicht viele dachten: Wenn sie die Pläne der Stadt erahnt hätten, hätten sie die umfangreichen Umbauten am Standort Selliner Straße im vergangenen Jahr höchstwahrscheinlich nicht vorgenommen. Was das bedeutet, kann sich jeder ausmalen: Erst verschwinden die Bewohner, dann die Häuser und später das Gewerbe. Dieses Szenario könnte man aber auch in jeder anderen Reihenfolge anführen. Ein Teufelskreis, den man nur durch ein gemeinsames Bekenntnis zum Stadtteil zu durchbrechen vermag. Eine Imagekampagne, die von vielen als einzig probates Allheilmittel gefordert wird, kann nicht von Außen über Grünau gestülpt, sondern eine positive Sichtweise muss von den Grünauern selbst initiiert werden, meint Stadtumbaumanager und Wüstenrot-Mitarbeiter Sebastian Pfeiffer und spricht damit einen der wenigen Ansatzpunkte im Grünauer Dilemma an.
Über Sinn oder Unsinn dieser öffentlichen Debatte darf ruhig weiter gestritten werden. Eines jedoch hat sich die Stadt nach den Veranstaltungen auf die Fahnen geschrieben: Der Pakt der Bürgernähe, auch als Pakt der Vernunft bekannt - der einst als gemeinsame Willenserklärung der Wohnungsunternehmen zustande gekommen war, soll fortgeschrieben und aktualisiert werden. Damit stürzen sich die Verantwortlichen genau auf das Segment des komplexen Themas Stadtumbau, das bislang am besten funktionierte und zäumen das Pferd von hinten auf. Denn Hauptanliegen sollte nicht die perfekte Organisation von Umzügen sein, sondern der Versuch, Grünau zu stärken - auch an den Rändern.
Klaudia Naceur