Wo ist denn nun jemand, der was tut?
Projekt »Von der Straße ins Leben«
will in Grünau was bewegen (Teil 1)
Sie lungern am PEP. Belagern den KONSUM-Vorplatz. Sitzen in der Garskestraße. Vor dem KOMM-Haus. Am NETTO. - Rauh sind sie. Laut. Abgerissen. Irgendeine
Flasche kreist immer. Lachen ist zu hören. Auch mal Streit. Es klirrt. Es stinkt. Es irritiert die »braven«
Bürger. Kleine Kinder werden
von Muttis an die Hand genommen. Alte Damen schütteln empört den Kopf. »Das ist doch ungehörig!«
, »Das kann man doch nicht
dulden!«
, »Da müsste man doch mal was tun!«
Die Polizei? Sie kümmert sich erst, wenn strafrechtlich Relevantes vorgefallen ist - Ruhestörung, Diebstahl, öffentliches Ärgernis. Die SMH? Sie nehmen Angetrunkene gar nicht erst mit. Schnelle kompetente Vor-Ort-Hilfe, wenn's wieder mal soweit ist. Dann soll der Betroffene seinen Rausch erst mal ausschlafen. Kotzt uns ja nicht ins Auto! Wo ist denn nun jemand, der was tut? Und ist denen überhaupt noch zu helfen?
»Trinkplatznutzer«
heißen sie im Amtsdeutsch. Jaqueline Bellstedt, diplomierte Sozialpädagogin, ist mit ihrem Team vor Ort unterwegs:
»Die Mobile Streetwork der SZL Suchtzentrum Leipzig gGmbH arbeitet seit dem 1. Juni 2012 in Grünau. Wir suchen regelmäßig die Menschen an den
Trinkplätzen auf. Dort, wo sie im öffentlichen Raum miteinander Alkohol konsumieren, sozialen Kontakt suchen, Freizeit miteinander
verbringen.«
Das Projekt »Mobile Streetwork«
begann als gefördertes Modellprojekt 2009 in Plagwitz, später in Lindenau. Wurde danach durch die
Stadt Leipzig übernommen und 2012 auf Grünau erweitert. »In Grünau sind wir jeden Dienstag und Donnerstag vormittags bis nachmittags auf der
Straße. Dabei laufen wir vier verschiedene Trinkplätze an. Das sind der Vorplatz des PEP-Center, der KONSUM hinter dem Allee-Center, der NETTO an der Alten
Salzstraße und der Platz um das Jupiter-Zentrum.«
Die Auswahl der vier vorerst zu betreuenden Plätze wurde durch den Bürgerdienst Leipzig ermittelt und mit zuständigen Ämtern der Stadt Leipzig abgestimmt. Damit sind die Kapazitäten vorerst erschöpft. Klar, dass der Bedarf größer ist. Aber erste Schritte sind getan. Mobile Streetwork Grünau, das sind drei ausgebildete Sozial- und zwei Bürgerarbeiter. Sie drehen jeweils zu zweit ihre Runden. Reden mit den Leuten. Bekommen Probleme mit. Herr K. lebt seit Jahren von Sozialhilfe, seit drei Jahren ohne Strom. Frau S. ist nicht krankenversichert.
Manuela H., die viele vom PEP kennen, hält mit mütterlicher Hand rauh aber herzlich die Truppe beisammen. Warum kommt diese Frau nicht besser zurecht? Die Ursachen sind oft vielfältig. Arbeitslos. Geschieden. Überschuldet. - Kein Grund auf der Straße zu landen oder haltlos zu trinken, aber oft schwinden mit der familiären oder sozialen Einbindung Lebensfreude, Disziplin, soziale Kompetenz.
Die Streetworker hören zu, zeigen Interesse, nehmen sich Zeit. Drängen aber auch zur Veränderung. Helfen bei Antragstellung. Begleiten Behördenwege. Veranlassen weiterführende Hilfen. Und fordern auch tatkräftiges Mitmachen ein.
J. Bellstedt / S. Heinig