Grün-As
Leipzig Grün-As Stadtteilmagazin

Wir leben gern in Grünau

Reaktionen zum Editorial aus Online-Ausgabe 31

Vorab: Wäre Grünaus weitere Entwicklung so, wie von Ihnen gewünscht und Sie würden letztendlich mit Ihrem Sohnemann hierher ziehen, dann werde ich wahrscheinlich die Koffer packen und mir woanders eine Wohnung suchen...

Aufgewachsen im benachbarten Großzschocher wohne ich jetzt ca. die Hälfte meines 45-jährigen Erdendaseins in Grünau, was ich mir damals auch nicht hätte vorstellen können. Grünau hatte ich anfangs nur als Zwischenstation betrachtet. Meine Arbeitsstelle befindet sich seit ca. einem Dutzend Jahren in Plagwitz. Den täglichen Weg dorthin und wieder zurück bezeichne ich selbst als »Pendeln zwischen zwei Welten«, wobei ich keine von beiden als die bessere ansehe. Sie sind halt vollkommen gegensätzlich, anders.

Nun ist es nichts Neues, dass die Selbstwahrnehmung der Bewohner Grünaus von innen eine ganz andere ist, als die der Leute aus den »besseren Gegenden« von außen. Trotzdem habe ich immer wieder das Gefühl, dass Außenstehende dem Grünauer nicht zugestehen, dass er sich ganz bewusst für diese Wohn- und Lebensform entschieden hat und dass er dabei auch kaum etwas bzw. gar nichts vermisst. Ich brauche hier keine Kneipe um die Ecke, schon gar keine Kneipenmeile mit all ihren Begleiterscheinungen und Hinterlassenschaften am nächsten Morgen.

Nach meinen Erfahrungen mit den hippen Plagwitzern und Lindenauern sind Menschen weit jenseits der Dreißig, die am liebsten jeden Abend in einer anderen Kneipe oder Location neue Menschen kennenlernen wollen (oder müssen), entweder privat oder beruflich noch nicht am Ziel angekommen, schlimmstenfalls sogar in beidem. Dafür gebührt ihnen gelegentlich mein aufrichtiges Mitgefühl.

Ich freue mich nach einem langen Arbeitstag einfach nur auf mein Zuhause und auf meine Familie. Besteht gelegentlich doch das Bedürfnis abends auszugehen, bin ich mit Fahrrad, S- oder Straßenbahn schnell dort, wo das Leben pulsiert. An der Stelle gestehe ich ein: Der Grünauer, der mal ausgehen und was erleben will, braucht dafür auf alle Fälle den Rest der Stadt – der Rest der Stadt braucht Grünau mit Sicherheit nicht!

Gott bewahre mir Grünau vor selbst ernannten »Künstlern«, die Brücken- und Treppengeländer umhäkeln, weil sie glauben, damit ihren ganz persönlichen Beitrag zum Weltfrieden zu leisten. Und die auch nur mit Hartz IV oder als »Aufstocker« eher schlecht als recht über die Runden kommen und überall die Hände aufhalten, wo es etwas abzufassen gibt.

Damit wären wir beim Thema Kunst und Grünau und bei dem von Ihnen erwähnten Festival »RASTER:BETON«. Ich habe die jungen Damen und Herren beim Aufbau der Bild-Leinwände auf dem Marktplatz Stuttgarter Allee im späten Frühjahr beobachtet. Ein junger Mann, den ich dabei ansprach, war sicher froh, dass er für sein Tun endlich mal etwas Aufmerksamkeit bekam und bedankte sich höflich. Die Leinwände an sich waren teilweise hochinteressant, ich habe sie mir mehrfach in den folgenden Wochen angeschaut.

Kurz vor Ende des Festivals besuchte ich auch die Festivalzentrale im Hochhaus Stuttgarter Allee 4 und kam mit der jungen Frau vor Ort ins Gespräch. Ob sie es dabei als Lust oder Last empfand, dass sie ihr Smartphone mal beiseite legen durfte bzw. musste, vermag ich nicht einzuschätzen. Jedenfalls war während der knappen halben Stunde meiner Anwesenheit keine weitere Menschenseele vor Ort. Die junge Dame war es auch, die mir erzählte, dass bei den anderen Veranstaltungen des Festivals eher die eigenen Freunde und Bekannten mit dabei waren, als dass die Grünauer, die man eigentlich erreichen wollte, in Scharen herbeiströmten.

Mein Fazit des Festivals: Schade um die viele Mühe, aber einen Versuch war es sicher wert. Meiner Meinung nach ist es genauso vergebens, Kunst nach Grünau zu holen, wie wenn ein Eisenbahnenthusiast im Plagwitzer »Westwerk« einen Diavortrag mit dem Thema »Die schönsten Modelleisenbahnanlagen Deutschland« ankündigt. Der mitgebrachte Freund, ebenfalls begeisterter Eisenbahn- und Modellbahnfreak, könnte der einzige Besucher des Abends sein...

Der Künstler behauptet, der Grünauer verstehe ihn nicht – und hat damit recht! Umgekehrt kann der Grünauer wahrscheinlich eher auf eine Leiter steigen und eine Glühlampe auswechseln. Er muss dazu nicht den Ehemann der besten Freundin fragen oder gar einen Elektriker kommen lassen. Aber jetzt bediene ich selber Klischees...

Zurück zu Ihrem Editorial, Frau Naceur. Sie wohnen in der Südvorstadt, was Sie gelegentlich wiederholen. Ich bin nicht im Bilde, ob es dort eine Stadtteilzeitung gibt. Angenommen, dem wäre so und ich würde in dieser ein Editorial schreiben, in dem ich den Südvorstädtern und Connewitzern darlege, unter welchen Umständen ich dorthin ziehen würde. Hätten Sie dann nicht auch das Gefühl eine Frage beantwortet zu bekommen, welche Sie gar nicht gestellt haben? Würden Sie eventuell sogar meine Zeilen als anmaßend empfinden?

Nur soviel: Neben etlichen Vorteilen der Südvorstadt könnte ich aus dem Stand eine ganze A4-Seite an Gründen aufführen, warum ich vor allem mit Familie nicht dort wohnen möchte. Allein die Krawalle und Ausschreitungen in letzter Zeit sind dafür ausreichend. Grünau – alles gut? Mitnichten! Aber viele Versuche von außen, mal etwas »Stimmung in die Bude« zu bringen scheitern meiner Meinung nach schon im Ansatz: Eben weil sie von Außenstehenden kommen, die sich nicht in die Mentalität der Grünauer hineinversetzen können oder wollen.

Außerdem werden uns – so wie durch Sie in Ihrer Kolumne – Probleme angedichtet, die wir gar nicht haben und Defizite aufgezeigt, die wir gar nicht als solche empfinden. Ich habe diese Zeilen bewusst nicht gender-gerecht verfasst. Wenn ich zum Beispiel von den Grünauern rede, meine ich selbstverständlich nicht nur die männlichen sondern auch die weiblichen. In diesem Sinne: Viele Grüße aus Grünaus Mitte in die Binzer Straße.

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