Hausgemacht
Editorial
Liebe Leserinnen und Leser, gerade noch präsentierte sich der im KOMM-Haus Stadtteil zur Premierenveranstaltung von Grünaus Imagefilm als lebens- und liebenswertes Quartier, in dem jede Menge los ist, wo man Spaß haben, glücklich sein kann und es alles andere als langweilig ist, da ploppte deutlich vernehmbar ein lang unter der Oberfläche gärendes Problem auf, welches bis dato allenfalls Insidern und Betroffenen geläufig war.
Auch wenn die Todesumstände des jungen Tunesiers, der am vor einem Elfgeschosser in der Alten Salzstraße sein Leben verlor, noch ungeklärt sind – für viele Menschen, die rund um den Marktplatz Stuttgarter Allee und im Bereich der Ringstraße wohnen, war es eine Frage der Zeit, wann es den ersten Toten geben würde.
»Warum so erstaunt? Wir sind hier in Grünau«
, schrieb mir ein Bekannter nachdem ich mich entsetzt zeigte. Nun, ganz so negativ sehe ich es nicht. Schließlich ist das Viertel riesig und
kann schon von Straßenzug zu Straßenzug völlig unterschiedlich sein.
Fakt ist jedoch: Im Stadtteilzentrum ist im Laufe der letzten Jahre eine Situation entstanden, die sich in den vergangenen Monaten noch einmal drastisch verschärft hat: Ruhestörungen, Diebstähle, Überfälle, Erpressung, Schlägereien vornehmlich unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen entlang der Stuttgarter Allee und verstärkt am Marktplatz.
»Hausgemacht«
, meinen einige Kritiker der kommunalen Strategie hinter vorgehaltener Hand. In der Tat gab es schon mit Bekanntwerden der Zentralisierungsbestrebungen in Grünau im Jahre 2007
erste mahnende Stimmen, man würde damit auch die Probleme an einen Ort konzentrieren.
Die LWB als kommunales Wohnungsunternehmen reduzierte durch geförderten Abriss in den Randlagen ihren Bestand in Grünau beispielsweise erheblich, versäumte es jedoch bedauerlicherweise im Kerngebiet des Stadtteils ihre Immobilien zumindest teilweise so aufzuwerten, dass eine sozial verträgliche Bevölkerungsstruktur erhalten geblieben wäre.
Mit dem Wechsel der Verwaltungsgesellschaft in der Ringstraße ist nun ein weiteres Problem hinzugekommen. Langjährige und bislang zufriedene Bewohner fühlen sich angesichts der Zustände in ihrer Nachbarschaft ohnmächtig. Wiederholte Brände, deren Schäden nicht einmal mehr beseitigt werden, Ruhestörung, Unfrieden – wenn sich die Situation nicht schnellstens ändert, wird das Gebiet wohl in nicht allzu ferner Zeit vollständig segregiert, das Quartier gekippt sein. Die Angst geht um, dass das auch auf angrenzende Gebiete überschwappen könnte. Ist der Stadtteil also auf dem Weg, zu dem sozialen Brennpunkt zu werden, der er ungerechtfertigterweise in den Augen vieler schon immer war?
Wenn die Stadt nicht schleunigst reagiert, ist dies nicht mehr nur traurige Zukunftsvision ewiger Pessimisten und der Hype um Grünaus Stabilisierung könnte sich schnell als unschöne Begleiterscheinung der rasch wachsenden Gesamtstadt herausstellen.
Erste positive Signale gibt es allerdings bereits: Auf Betreiben des Quartiersmanagements fand ein Treffen mit verschiedenen Akteuren und Ämtervertretern statt – Ziel: Die Entwicklung von gemeinsamen Strategien und Maßnahmen.
Die Thematik beschäftigt mittlerweile auch Kommunalpolitiker sowie die Verwaltung bis hin zum Rathaus-Chef. Gut so. Der Stadtteil und seine Bewohner haben es verdient, dass man um ihre Zukunft ringt. Sonst hilft irgendwann auch mal der schönste Imagefilm nicht mehr.
Ihre Klaudia Naceur