»Miltizer Allee - Zug endet hier«
Wie die Leipziger S-Bahn nach Grünau kam
Die Eisenbahn für die Bewältigung des Personenverkehrs im näheren städtischen Bereich, sowie zum stadtnahen Umland zu nutzen, wurde besonders mit der rasant wachsenden Industrialisierung ausgangs des letzten Jahrhunderts immer dringlicher. Die Städte dehnten sich in die Vororte aus, gliederten umliegende Gemeinden ein. Um die damit entstandenen Pendlerströme bewältigen zu können, bot sich zu jener Zeit nur die Eisenbahn als Massentransportmittel an. Für den innerstädtischen Verkehr jedoch wurde der Straßenbahnverkehr bevorzugt - welche Zeit!
Mit der Jahrhundertwende setzte in den größten deutschen Städten (besonders in Hamburg und
Berlin) der Bau von separaten S-Bahn Linien ein, die vorerst noch mit Dampf, später elektrisch
betrieben wurden. Auch in Leipzig gab es derartige Überlegungen. Ausgangspunkt war dabei
jedoch, eine Verkehrsverbindung zwischen dem Hauptbahnhof und dem Bayrischen Bahnhof zu
schaffen, um gewisse Nachteile durch das umständliche »Kopfmachen«
der Züge im
Hauptbahnhof zu vermeiden. Kühn wie die Sachsen sind, sollte es eine U-Bahn werden. Davon
versprach man sich auch, den damals schon beträchtlichen Straßenbahnverkehr zu entlasten.
Dass dieses Projekt, welches auch in den 30er und 60er Jahren erneut diskutiert wurde, nicht verwirklicht wurde, ist bekannt. Bei der heutigen Verkehrswegeplanung für die Stadt Leipzig stellt diese unterirdische Verbindung wieder eine feste Größe dar. Doch dazu genauer in einem späteren Beitrag.
S-Bahnen für die Bezirksstädte
Ende der sechziger Jahre stellte sich in der damaligen DDR das Problem, den Personennahverkehr in den größten Bezirksstädten wesentlich zu verbessern. In Dresden, Erfurt, Halle, Leipzig, Magdeburg und Rostock sollte zeitlich etwa parallel ein S-Bahn-Betrieb aufgebaut werden. Dieser konnte jedoch im Unterschied zur Berliner S-Bahn über kein eigenes Gleisnetz verfügen, sondern mußte bereits bestehende Strecken nutzen.
Diese Vorbedingung stand bereits zu jener Zeit in der Kritik, war aber angesichts begrenzter ökonomischer Möglichkeiten der einzig realisierbare Weg. Mit der wenig später erfolgten durchaus richtigen Orientierung der Transportverlagerung von der Straße auf die Schiene waren jedoch Mängel im S-Bahnbetrieb hinsichtlich Pünktlichkeit, Dichte der Zugfolge und Fahrtenrhythmus vorprogrammiert. Besonders der S-Bahn-Verkehr in Dresden, Magdeburg und Leipzig war von dieser Entwicklung betroffen.
In 60 Minuten um die Stadt
Dennoch, mit der feierlichen Eröffnung am 12. Juli 1969 nahm die Leipziger S-Bahn auf einer Streckenlänge von fast 37 Kilometern den Betrieb auf. Der planmäßige Verkehr begann einen Tag später. Von Beginn an betrug die Fahrzeit auf der herzförmigen Strecke von Gaschwitz zum Hauptbahnhof über Connewitz und zurück nach Gaschwitz über Plagwitz rund eine Stunde und hat sich bis heute nicht verändert.
Die Züge fuhren im 20-Minuten-Takt. Mit der Betriebseröffnung wurden gleichzeitig die neugeschaffenen S-Bahnhaltepunkte Anger-Crottendorf, Marienbrunn, Coppiplatz, Industriegelände West dem Verkehr übergeben. Später kamen die Haltepunkte Sellerhausen (1970), Schwartzestraße (1973) und Markkleeberg-Mitte hinzu. Den Haltepunkt Messegelände gab es bereits seit der Frühjahrsmesse 1969.
In einer ersten Konzeption waren auch Haltepunkte Straße der DSF (Delitzscher Straße), Antonienstraße, An der Lauer (zwischen Kleinzschocher und Markkleeberg-West) und Landwirtschaftsausstellung (agra) diskutiert worden.
Eine wesentliche Erweiterung erfuhr das Streckennetz mit der Eröffnung des S-Bahnverkehrs nach Wurzen zum Fahrplan-Wechsel im Mai 1974. Diese Strecke sollte besonders den Pendlerstrom aus dem Leipziger Osten aufnehmen. Die Strecke (ehemalige Linie B) ist 26 Kilometer lang und verfügt über 10 Haltepunkte.
Mit dem nun bestehenden S-Bahn-»Netz«
konnten wesentliche
Nahverkehrsaufgaben in den südlichen und östlichen Raum Leipzigs besser bewältigt werden. Von den
Leipzigern wurde das neue Angebot zwar akzeptiert und genutzt, die Hauptlast des Nahverkehrs lag jedoch
weiterhin bei der Bimmel, zu der sich die Leipziger nach wie vor stärker hingezogen fühlten.
Pendelzüge nach Grünau
Mit der Proklamierung des Wohnungsbauprogrammes und der Entscheidung, im Leipziger Westraum ein Neubaugebiet für rund 100.000 Einwohner auf der grünen Wiese zu schaffen, wurde eine für Leipzig bis dato nicht gekannte Veränderung der Hauptverkehrsströme in Gang gesetzt.
Einen Stadtteil, wie das entstehende Leipzig-Grünau an das Kerngebiet der Stadt anzuschließen, verlangte grundlegende neue Überlegungen auch über eine S-Bahn-Verbindung. Denn darüber war man sich bei der Stadt einig, die Hauptlast des Personennahverkehrs zu den Industriegebieten im Westen sowie, die Anbindung an die City sollte die S-Bahn übernehmen.
Nicht von ungefähr bildet die S-Bahn-Trasse deshalb auch eine Schnittlinie durch Grünau. Dass sich der Hauptverkehr dennoch über die peripheren Straßenbahnlinien im Süden und Norden der Großsiedlung abwickeln würde, war wohl nicht direkt vorauszusehen, und auch nicht gewollt. Eine Ursache lag zu jener Zeit aber wohl auch in der geringen Attraktivität, sowie wachsender Unzuverlässigkeit der S-Bahn. Nicht abzusehen war hingegen die Verlagerung des Verkehrs von der Schiene auf die Straße mit der Wende, unter der S-Bahn und Straßenbahn wohl gleichermaßen litten.
Paradoxerweise ließ der damit verbundene Verkehrsinfarkt auf Leipzigs Straßen die S-Bahn zur schnellsten Verbindung von Grünau zur Innenstadt werden. Trotz guter Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit und zunehmendem Komfort quälen sich die meisten Grünauer dennoch mit dem PKW durch die zu Hauptverkehrszeiten verstopften Lützener Straße und Ratzel-/Antonienstraße.
Mit dem Bau der S-Bahn nach Grünau wurde unmittelbar mit Beginn des Wohnungsbaus auf diesem Standort begonnen. Der erste Streckenabschnitt der neuen Linie C von Leipzig-Plagwitz bis Grünauer Allee war mit dem Fahrplanwechsel im September 1977 fertig. Vorerst war die Strecke eingleisig und die Züge pendelten nur zwischen beiden Stationen. In Plagwitz bestand meist Anschluß zur Linie A. Doch manch Grünauer wird sich an eisige Wartezeiten im Winter auf dem Plagwitzer Bahnhof erinnern können, wenn partout keine Bahn unter der Antonienbrücke auftauchen wollte, und sich fluchend auf dem Weg zur Bimmel, Linie 2, gemacht haben.
Ohne Umsteigen in die City
Erst drei Jahre später, im Dezember 1980, wurde der zweite Haltepunkt Wilhelm-Pieck-Allee (heute: Stuttgarter Allee) in Betrieb genommen. Wieder dauerte es fast drei Jahre, bis die S-Bahnzüge nun zum 3. Haltepunkt Ho-Chi-Minh-Straße (heute: Karlsruher Straße) fuhren.
Im Dezember 1983 war die ganze Strecke bis zum Endpunkt Miltitzer Allee fertig. Mit der 4,6 Kilometer langen Neubaustrecke vom Plagwitzer Bahnhof aus, war die S-Bahn-Erschließung des zweitgrößten Neubaugebietes der damaligen DDR abgeschlossen - wie es im offiziellen Sprachgebrauch hieß.
Ab Mai 1984 war die gesamte, elektrifizierte Strecke dann zweigleisig ausgebaut. Nach Umbauten in der Gleisführung im Plagwitzer Bahnhof konnte ab Juni 1984 auch der bis dahin bestehende Pendelverkehr aufgegeben werden. Die neue Linie A führte nun von Miltitzer Allee über Hauptbahnhof, Connewitz nach Gaschwitz und zurück.
Damit war eine permanente Forderung der Grünauer nach einer direkten Anbindung der S-Bahn an das Stadtzentrum (Hauptbahnhof) erfüllt. Gleichzeitig wurde nun ein Pendelverkehr zwischen Miltitzer Allee über Plagwitz nach Markkleeberg/Gaschwitz eingerichtet.
Peter Hackenschmidt Weiter>>>