Ein »Luft«
-Schutzengel rettet Beethoven
Margot Henkel aus Grünau erlebte die Bombennacht vor 54 Jahren
Der vierte Dezember 1943, ein beginnender Samstag: Noch schlief die Stadt. Nachts gegen drei Uhr dreißig heulten die Sirenen los. Voralarm! Über vierhundert britische Bomber röhrten am Himmel auf Leipzig zu. Der Messestadt stand der schwerste Luftangriff des Zweiten Weltkrieges bevor. In dem nur sechzehnminütigen Bombardement erlitt die Innenstadt ihren Todesstoß, von dem sie sich über Jahrzehnte nicht mehr erholen sollte.
Augenzeugin Margot Henkel (82) berichtete: »Ich war eine 28jährige Kriegerwitwe. Am
1. Dezember 1943 bin ich bei meinen Eltern ausgezogen (von der Salomonstraße in die
Krönerstraße). Drei Tage später war dort der Angriff, sonst hätte es mich voll erwischt! Meine
Mutter und mein Halbbruder wurden in dieser Nacht völlig ausgebombt. Phosphor lief brennend bis
in die Keller hinunter.«
»Auch über meiner Wohnung brannte es, eine Stab-Brandbombe schlug ins Kinderbettchen hinein,
die Flammen wurden von den Hausbewohnern aber schnell gelöscht. Weil durch die Detonationen die
Fensterscheiben zu Bruch gegangen waren, hatte ich mein Kind (ein Jahr) im Keller in einer
Holzwaschwanne liegen.«
»Beginnender Morgen. Ich rannte los, zum Haus meiner Eltern. Von der Dresdner Straße an durch
die Kohlgartenstraße, bin ich dauernd über pralle Feuerwehrschläuche gestiegen. Überall
züngelten die Flammen. Am Marienplatz kam ich nicht mehr weiter, das wäre Selbstmord gewesen!
Da brannte so ziemlich alles. Ich kehrte dem Feuermeer den Rücken, bin heimgehastet, die Angst
im Nacken, dass die Flieger wiederkommen könnten. Mein Sohn lag doch noch im Keller!«
Das »Bombardement Haddock«
(Schellfisch), so der Deckname für Leipzig,
kostete zweitausend Einwohnern das Leben. Zwölf Prozent des verfügbaren Wohnraums wurde
zerstört, jeder fünfte Leipziger war ausgebombt. 1067 Geschäftshäuser, 28 Hotels, 56 Schulen, 9
Kirchen, 29 Messehäuser und 472 Fabrikgebäude gab es plötzlich nicht mehr.
Bis Kriegsende sollten noch zehn weitere schwere Luftangriffe folgen, die Leipzig in die
Liste der meistzerstörtesten deutschen Städte einfügten. Margot Henkel erinnert sich:
»Als die Trümmer erkalteten, ging ich in die Stadt, sah mir die Ruinen an. Schon als
kleines Mädchen besuchte ich gern das Bildermuseum, dort, wo heute das Neue Gewandhaus steht.
Es erweckte den Eindruck, als sei das Museum vom Klingersaal abgegrenzt. Ringsum war alles
zerstört und verrußt.«
»Aber Beethoven saß noch auf seinem Sockel, neben den Trümmern vom Bildermuseum. Unversehrt, wie
man ihn noch heute im Klinger-Foyer des Gewandhauses betrachten kann. Alles lag in Schutt und
Asche, nur diese Plastik blieb verschont. Das war schon ein Wunder!«