»Das Leben ist voller Geschichten«
Rainer Löhnert, Vorstandsvorsitzender der Wohnungsbaugenossenschaft »Kontakt«
Er selbst bezeichnet sich zuweilen als »nicht normgerecht«
und lacht dabei. Ein Blick hinter die
Fassade seiner Funktion als Vorsitzender einer Genossenschaft, die allein in Grünau 3600 Wohnungen ihr Eigen nennt und 160
Mitarbeiter beschäftigt, reicht, um ihm absolut recht zu geben. Rainer Löhnert - ein Mann mit vielen Facetten und voller
Gegensätze - ist alles andere als angepasst. In einer Zeit, da Wohlstand und Selbstdarstellung zählen, beschränkt er sich
aufs Einfachste. Mit seiner Philosophie: »Was ich nicht brauche, muss ich auch nicht haben«
, hat er
sich scheinbar eigene Normen geschaffen, in die er wiederum perfekt hineinpasst.
Es wird nicht zuletzt seiner Kindheit zuzuschreiben sein, dass Rainer Löhnert zu dem wurde, was er heute ist - nämlich erfrischend anders. Als etwa einjähriges Flüchtlingskind mit dem Zug aus dem östlichen Polen kommend, weder Eltern, Geburtsdatum, noch seinen eigenen Namen kennend, strandete er 1946 in Gaußig, einem kleinen Dorf bei Bautzen. Aus dem identitätslosen, kleinen, halb erfrorenen und gerade so laufen könnenden Jungen wurde Rainer Löhnert, sein Geburtstag praktischer Weise auf den 5. Februar 1946 datiert. Praktisch, da seine Adoptivmutter, eine Bäuerin des Dorfes, am 6. und sein späterer Adoptivvater am 7. des gleichen Monats geboren waren und in Zeiten, in denen es an allem mangelte, drei Feierlichkeiten zusammengelegt werden konnten.
In einer großen Gemeinschaft wuchs er auf, umgeben von Menschen, die sein eigenes Schicksal teilten.
»Flüchtlingskind«
nannten ihn einige Dorfbewohner. Erst Jahre später sollte er, der sich doch als echter
Gaußiger fühlte, erfahren, warum. Doch obwohl ihm die Suche nach seinen Wurzeln jahrelang nicht los ließ und er irgendwann
enttäuscht einsah, dass er sie erfolglos aufgeben muss, empfindet der heute fast 60-Jährige die Geschichte seiner Kindheit
nicht als dramatisch.
Viel mehr verbindet er mit dem kleinen Dorf in der Lausitz, dem er noch immer einen jährlichen Besuch abstattet, angenehme, aber auch prägende Erinnerungen. So prägend, dass er später, schon lange in Leipzig wohnend, seiner Tochter jeden Abend Geschichten erzählte. Heitere, nachdenklich stimmende, aber auch traurige Episoden aus der Kindheit und seinem späteren, nicht weniger außergewöhnlichen Leben, die er Anfang dieses Jahres in einem Buch zusammenfasste und die erahnen lassen, was die Person Rainer Löhnert ausmacht.
Ungewöhnlich und dennoch, oder gerade darum so typisch für den Querdenker Löhnert: Das Buch
mit Titel »Wenn sie mir was gahn«
gibt es bedauerlicher Weise nicht einfach so
zu kaufen, obwohl es sicher alles andere als ein Ladenhüter wäre. Rainer Löhnert verschenkt es an
Freunde, Kollegen oder Menschen, die in seinen Geschichten vorkommen und sich dort auch
wiederfinden sollen. Auch aus seinen kleinen Kunstwerken, die er selbst nie als solche bezeichnen
würde, schlägt der viel beschäftigte Mann kein Kapital, sondern stellt sie aus oder versteigert
sie für einen guten Zweck wie beispielsweise dem Leipziger Spendenparlament.
Die meisten seiner farbenfrohen Malereien, die auf alten WBS 70-Plattenbaufenstern ihren ganz eigenen Charme entwickeln, verschenkt er gleich seinem Buch an Menschen, die ihm nahe stehen oder Interesse bekunden. Letztere allerdings sind dem Skeptiker Löhnert mitunter suspekt. Argwöhnt er doch, seine künstlerischen Fähigkeiten in den Schatten stellend, dass Einige seine Bilder nur mögen, um ihm einen Gefallen zu tun. Doch nicht nur seine Hobbies sind es, die Rainer Löhnert den schon in seiner Kindheit anhaftenden Ruf eines Sonderlings einbrachten.
Die Art und Weise, wie er die damalige AWG und heutige WBG »Kontakt«
führt,
hebt ihn gleichermaßen deutlich wie wohltuend heraus. Grund genug für andere, ihn zeitweise zu
meiden, oder ihm sehr kritisch auf die Finger zu schauen, in der Hoffnung er würde eines Tages mit
seinen Konzepten scheitern. Mittlerweile wird er jedoch von den gleichen Leuten akzeptiert, mehr
noch: geachtet.
Nur ein Blick in sein kleines Büro, das heute noch fast genauso aussieht wie damals, als er es vor 20 Jahren das erste Mal betrat, verrät: Hier arbeitet Einer, der keinen Wert auf Prestige legt, der Niemandem etwas beweisen muss, sondern das darstellt, was er ist.
Ein Mann mit ausgeprägt sozialem Engagement, nicht darauf aus, es an die Öffentlichkeit dringen
und sich dafür feiern zu lassen, den es betrübt, wenn er einmal nicht helfen konnte, obwohl er
sich alle Mühe gab, der es vorzieht, statt in einer Villa, in einem Gartenhaus mit 24 Quadratmeter
Wohnfläche zu leben, der Geld verdient und Kontakte pflegt, um damit auch Probleme von Menschen zu
lösen, denen es schlecht geht, der es versteht, sich nach Hektik, Geselligkeit und all zu häufigen
Pflichtveranstaltungen, ruhig zurückzuziehen und zu sich selbst zu finden, der Geschichten
schreibt und Bilder malt, nur weil es ihm Spaß macht. Ein Mann, dessen Leben voller Geschichten
steckt…
K. Naceur