30 Jahre Grünau - ein Stadtteil im Wandel
Foto: Sandmann
Als mit dem Bau von Grünau vor 30 Jahren begonnen wurde, hatte Leipzig ohne die Eingemeindungen
zirka 150.000 Einwohner mehr als heute. Wartezeiten von bis zu zehn Jahren auf eine eigene Wohnung waren
für junge Leute keine Seltenheit. Es gab nicht nur viel zu wenige Wohnungen, sondern viele der
Altbauwohnungen hatten auch nur wenig Komfort. Ofenheizung, fehlendes Bad und manchmal auch noch Plumpsklo
eine halbe Treppe tiefer waren verbreitet. Grünau sollte helfen, das zu verbessern. Dabei sollten Fehler
von Halle-Neustadt nicht wiederholt werden: Dort war viel zu eng gebaut und die Wohnumgebung vernachlässigt
worden. Grünau sollte eine Stadt zum Wohlfühlen werden.
Foto: Elke Göbel
In den 70er und 80er Jahren waren Grünauer Wohnungen begehrt und ohne Beziehungen war es schwer,
hierher zu ziehen. Uns ist das damals nicht gelungen. Zwar wurden die hehren Vorsätze, großzügig zu bauen,
bald unter dem Druck der Mangelwirtschaft aufgegeben. Während die ersten Wohnkomplexe tatsächlich noch
relativ weiträumig und großzügig gebaut wurden sind, rückten die Blocks im Laufe der Jahre immer enger
zusammen und wurden immer höher, um Tiefbau- und Erschließungsarbeiten einzusparen.
Foto: Elke Göbel
Zu DDR-Zeiten tat das der Attraktivität von Grünau keinen Abbruch, relativ große Wohnungen mit
gutem Komfort sorgten ebenso dafür wie Kulkwitzer See und Schönauer Park. Auch die Kaserne konnte den
meisten den Spaß am Wohnen in Grünau nicht verderben, selbst dann nicht, als es in den 80er Jahren zu einer
schweren Explosion kam, der in Grünau etliche Scheiben zum Opfer fielen.
Vor allem in den 70er Jahren entstanden, übrigens auch überall in Westeuropa, Plattenbausiedlungen, die Grünau sehr ähnlich sehen. Ziel war es dort, den sozial Schwächeren guten Wohnkomfort zu niedrigen Mieten zu garantieren. Dann kam der Kollaps der DDR.
Foto: Elke Göbel
Die »Platte«
geriet fast unverzüglich unter Beschuss. Zunächst wurde diese
Diffamierungskampagne vor allem von Immobilienhaien und Bauunternehmern angetrieben, die vor allem den gut
Verdienenden Grünau verekeln wollten, um sie als Kunden zu gewinnen. Aber bald kam es durch Abwanderung als
Folge der rasch wachsenden Arbeitslosigkeit zu einem drastischen Einwohnerrückgang. In den 90er Jahren hat
Leipzig fast 100.000 Einwohner verloren, jeden fünften.
Der Wohnungsleerstand wuchs rasch.
Dazu kam die Abwanderung der Besserverdienenden in die überall entstehenden Eigenheimsiedlungen, die
übrigens architektonisch oft auch nicht spannender sind als die Grünauer Plattenbauten. Inzwischen ist die
Abwanderung aus Grünau fast zum Stillstand gekommen. Etwa ein Drittel seiner Einwohner hat unser Stadtteil
seit Anfang der 90er Jahre verloren. Aber wer geblieben ist, fühlt sich hier meist wohl und möchte bleiben.
Nicht zuletzt unter dem Druck der Dauerdiffamierung hat sich in Grünau eine Bindung an den Stadtteil
entwickelt, die es so in den meisten anderen Stadtteilen nicht gibt. Viele Grünauer bekennen sich
»trotzig«
dazu, in der »Platte«
zu wohnen.
Foto: Müller
Das zeigt sich auch in der regen Teilnahme und der Resonanz an Veranstaltungen zur Zukunft
Grünaus wie dem Forum Grünau und diversen Planspielen. Leider stellte sich am Ende vieles als pure
Spielerei heraus, die nur die Taschen von Architekten und privaten Planern füllte, denen Grünau herzlich
egal war. Es zerstört die Bereitschaft, sich für das Gemeinwesen zu engagieren, wenn Stadtverwaltung und
auch externe Fachleute, das, was mit den Bürgern gemeinsam als Zukunftsvision erstritten wurde,
achselzuckend zu den Akten legen, wenn es der Sächsische Regierung gefällt, für die Modernisierung der
Plattenbauten keine Fördermittel mehr zur Verfügung zu stellen. Die Förderkonditionen wurden geändert und
statt von Stadtumbau, um die leerstehenden Wohnungen zu nutzen, das Wohnumfeld und die verbleibenden
Wohnungen attraktiver zu machen, war bald nur noch von »Rückbau«
wie der Abriss
verschämt genannt wird, die Rede.