Zehn Jahre Theatrium
Jubiläumspremiere in der Südvorstadt oder Ensemble feiert im eigenen Saft
Zehn Jahre ist es her, da bezogen die Großstadtkinder ihr neues Domizil, nannten es Theatrium und begaben sich auf den Weg zum Ruhm. Nur absolute Visionäre hätten einst geglaubt, dass sich aus dem lockeren Haufen Kids, die sich am 28.10.1994 zum ersten Mal im KOMM-Haus zusammenfanden, einmal Grünaus Exportschlager Nummer eins herauskristallisieren wird. Das Projekt war für die damalige Zeit in Leipzig einzigartig.
Theater nicht nur für Kinder und Jugendliche, sondern mit ihnen - größtenteils in Eigenregie, fernab spontanitätstödlicher Überprofessionalität und ebenso weit von den kulturellen Hochburgen der Messestadt entfernt. In Grünau. Das Experiment, welches der Schauspieler und Regisseur Tilo Esche gemeinsam mit Lichttechniker Steffen Wieser in Zusammenarbeit mit dem städtischen Kulturamt im hiesigen Stadtteil wagten, stand überraschend schnell auf eigenen Füßen. Rasant wuchs die Anfangsformation von ursprünglich etwa 40 jungen Schauspielern auf mittlerweile mehr als doppelt so viele und aus einer großen jährlichen Aufführung wurden drei bis vier kleinere Inszenierungen.
So kamen denn auch einige Stücke zusammen, die allesamt in der Jubiläumspremiere »Te(e)n days
oder Geträumt wird später«
bedacht werden und unterkommen sollten. Das bunte, mit drei Stunden
jedoch eindeutig zu lange Mammutwerk, strotzte nur so von markanten Sätzen vergangener
Aufführungen. Wohl dem, der alle kannte.
Denn Außenstehende - von denen glücklicherweise oder aber leider nur sehr wenige ins Zirkuszelt auf der Pferderennbahn fanden - konnten mit dieser Aneinanderreihung von Insiderzitaten nicht viel anfangen. Schlimmer noch: Abgesehen von der Rahmengeschichte, die sich im Groben um zwei Engel im Praktikum rankt und wirklich witzig in Szene gesetzt wurde, erschloss sich das Stück sicher nicht einmal den zahlreich erschienenen Theatrium-Veteranen in Gänze.
Obwohl diese natürlich einige Aha-Erlebnisse gehabt haben
dürften. So ging beispielsweise ein gleichermaßen erkennendes wie erstauntes Raunen durch die
Zuschauerreihen als sich Kai-Uwe Weser - ein Protagonist der ersten Stunde - seine Larve vom
Gesicht riss und den »Matze-Song«
anrappte. Konnten vielleicht
Nichteingeweihte den Zusammenhang zwischen musikalischer Darbietung und Stück nicht erkennen,
die Experten wussten: Das war das Lied aus der zweiten Inszenierung -
»Aussteiger«
.
Für ihre zahlreichen Ahs und Ohs und nicht zuletzt als kleiner
Dank für zehnjährige Treue zur Theatercombo durften sich schlussendlich alle
»Ehemaligen«
mit engelsgleichen Pappflügeln schmücken und noch einmal auf der
Bühne feiern lassen.
Einer - und zwar ein einstiger Mitbegründer des Ensembles - fehlte beim finalen Run auf die weltbedeutenden Bretter und blieb absichtlich oder aus Versehen an diesem Abend unbeflügelt im Zuschauerraum sitzen. Dies dürfte zwar im allgemeinen Taumel nur einigen wenigen aufgefallen sein, spiegelt jedoch die Querelen in und um das Theatrium wieder. Denn die Erfolgsgeschichte, die völlig zu Recht gefeiert werden durfte und auch unbedingt sollte, hat auch ihre negativen Nebeneffekte.
Längst hat das Theatrium einige seiner einstigen Ideale gedankenlos über Bord geworfen. Und an Quantität leidet eben nicht selten auch die Qualität. Verwundert fragen sich zudem viele Grünauer, die sich das Jubiläumsstück vielleicht gerne angesehen hätten, warum die Theatergruppe ihr zehnjähriges Bestehen nicht auf dem Terrain feiert, wo sie einst gegründet wurde und noch heute beheimatet ist. Dem könnte man zwar entgegenhalten, dass mittlerweile nur noch 30 Prozent der Kids aus Grünau kommen. Aber auch das ist in den Augen einiger Kritiker ein selbstverschuldeter Fakt und das Resultat mangelnder beziehungsweise falscher Öffentlichkeitsarbeit.
Dabei verdankt das Theatrium dem, an kulturellen Highlights mangelnden und als sozialen Brennpunkt deklarierten Stand und Spielort wahrlich nicht nur seine Entstehung, sondern auch großzügige Fördergelder der Kommune.
Stellvertretend für diese waren am Premierenabend
je ein Mitarbeiter vom Kulturamt und Jugendamt erschienen. Entzückt fielen sich die beiden nach
der Vorstellung mit den Worten »Dafür hat es sich gelohnt zu kämpfen«
in die
Arme.
Versteigerung von Theaterequisiten - einer der Höhepunkte der
Veranstaltung
Aber wofür haben sie eigentlich den ämterübergreifenden Schulterschluss geübt? Zum Beispiel dafür,
dass der Verein immer mehr sein eigenes Süppchen kocht und folglich zunehmend im eigenen Saft
schmort? Dafür, dass immer mehr Geld in Verwaltung und Selbstinszenierung fließt und weniger in
innovative Ideen? Sicher ist es schwer, Kreativität quasi am Laufband zu produzieren und Kritiker
hat jeder, der sich - ob nun in Grünau oder anderswo - in irgendeiner Weise engagiert.
Dem Kinder und
Jugendtheaterprojekt muss man in jedem Falle zugute halten, dass es gewillt ist, dem Stadtteil die
Treue zu halten. Mit dem wahrscheinlichen Umzug in die Völle, also ins Zentrum Grünaus, könnte
es dem eingespielten Team allerdings gelingen, wieder einen Blick über den eigenen Suppen-Tellerrand
zu riskieren und gegenüber anderen Institutionen und gemeinsamen Projekten Aufgeschlossenheit
zu demonstrieren.
Klaudia Naceur