Lust und Frust
Vom Kampf der Kultur in Grünau
Da sage doch noch mal einer, in Grünau sei nichts los. Dass dies angesichts eines voll gepackten Kultursommer-Programms, eines über die Stadtteilgrenzen hinaus bekannten Jugendtheaters und unzähligen, über das ganze Jahr verteilten kleineren und größeren Veranstaltungen ohnehin ein haltloser Vorwurf ist, braucht man eigentlich gar nicht zu erwähnen. Aber man hört ihn trotzdem. Laut hinausposaunt oder hinter vorgehaltener Hand. Und das nicht etwa von Menschen, die Grünau eher skeptisch gegenüber stehen. Nein, die das sagen, kritisieren damit ihr eigenes Wohnumfeld. Es sind die Grünauer selbst.
Und als ob sie ihrer eigenen Fehleinschätzung zur Realität verhelfen wollen, tun sie alles dafür, damit das auch schon bald tatsächlich so sein wird. Nämlich, in dem sie die Kultur einfach ignorieren. Nicht alle, sei an dieser Stelle fairerweise angemerkt, aber die meisten. Wie das? Ganz einfach: Man stelle sich nur einmal vor, dass die hiesigen Einrichtungen mit ihren Angeboten in naher Zukunft nicht mehr von der Kommune quasi subventioniert werden. Das ist angesichts der prekären Finanzlage keine Fiktion, sondern der Rotstift im Kulturbereich wurde schon lange allerorts angesetzt. Nun stelle man sich weiter vor, Veranstaltungen müssten sich daraufhin anhand der Besucherzahlen rechnen. Dann fehlt eigentlich nur noch der Blick auf die jüngsten Versuche, im Stadtteil preiswerte Kultur anzubieten und man gelangt zu dem Schluss, dass das ein Minusgeschäft wäre, welches sich kein Veranstalter leisten kann.
Jüngste Beispiele? Gern auch konkret: Unter anderem das Live-Konzert von Scirocco im KOMM-Haus. Fünf
Stunden großartige Unterhaltung, die gemessen am Grünauer Durchschnittsalter eigentlich Heerscharen
hätte anziehen müssen. Eigentlich. Denn gekommen sind sage und schreibe 18 Musik- und Tanzbegeisterte,
darunter 15 Nichtgrünauer und davon zwei, die eigens aus Finsterwalde angereist waren - also 150
Kilometer in Kauf nahmen. Der Stimmung tat das an diesem Abend zwar keinen Abbruch. Vielmehr waren sich
alle Anwesenden über die Skurrilität des »Privat-Konzerts«
im Klaren und auch die Band tat ihr Bestes,
um die dünn besuchte Party zum Event werden zu lassen. Natürlich kann man sich solche Erlebnisse schön
reden und letztlich noch in einiger Zeit darüber lachen, wie abgefahren diese Nacht war. Aber dem
Veranstalter bleibt ein bittersüßer Nachgeschmack und er fragt sich, warum um Gotteswillen ist das so!?
Das immer wieder gern zitierte Argument, Konzerte könne man sich ja heutzutage gar nicht mehr leisten, kann dank sensationell günstigem Eintrittspreis von 6 Euro bei eben angeführter Veranstaltung getrost belächelt und als Ausrede gewertet werden. Vielleicht ist jedoch die Abgelegenheit des KOMM-Hauses eine Erklärung. Ganz am Rande des sich am Rande befindlichen achten Wohnkomplexes gelegen, könnten es tatsächlich viele als zu beschwerlich empfinden, sich auf den Weg in die äußerste Ecke Grünaus zu bewegen. Dass auch dies eine eher dürftige Begründung ist, bewies der Kinoabend eine Woche später. Ein krachend voller Saal, in dem die Besucher teilweise sogar auf dem Boden saßen, um sich die Premiere des Mexiko-Reiseberichts von Enno und Tino anzuschauen. Doch auch bei dieser gelungenen Veranstaltung steht ein großes Aber im Nachgang. Denn die meisten Zuschauer kamen aus allen Stadtvierteln, die Leipzig so zu bieten hat - die wenigsten allerdings aus Grünau.
Dass es gemessen an Leipzigs Einwohnerzahl ein kulturelles Überangebot gibt, ist kaum bestreitbar. Dass es zudem oft unerschwinglich ist, diese Angebote wahrzunehmen, lässt sich auch nicht leugnen. Und dass es vor dem häuslichen Fernseher doch am gemütlichsten ist, gibt zwar keiner zu, weiß aber jeder. Trotz alledem, es gibt sie noch: Die Unverbesserlichen, die am hiesigen Kulturstandort festhalten. Und erst wenn die letzten von ihnen gefrustet den Kampf der Kultur in Grünau aufgeben, werden sich die Stadtteilbewohner darüber entsetzen. Dann allerdings dürfte es für einen Aufschrei zu spät sein.
Klaudia Naceur