Elephant
Auf dem Weg nach Columbine
»Elephant«
ist ein Film von Gus van Sant. Laiendarsteller, die typische
Charaktere darstellen, zeigen einen Tag in einer amerikanischen Highschool. Dabei wird in langen
Kamerafahrten und SteadyCam-Einsätzen, die Zeit zum Nachdenken lassen, den Teenagern über die Schulter
geschaut: Ein Fotograf der ein Punkerpäarchen knipst, ein Mädchen das zum Sport keine Shorts anziehen
will, der Football-Star mit seiner Flame, drei bulimiekranke Mädchen die auf dem WC erbrechen,
der Junge der die Autoschlüssel bei der Sekretärin abgibt, damit der Bruder den besoffenen Vater
abholen kann... Doch dieser Tag endet anders, als die ruhige Erzählweise des Films vermuten lässt.
Die beiden Schüler Alex (Alexander Frost) und Eric (Eric Deulen) richten ein Blutbad unter den Schüler an.
Der Film versucht, unter dem Eindruck des Massakers an der Columbine High School in Littleton, bei dem der 17-jährige Dylan Klebold und der 18-jährige Eric Harris aus Hass auf die Schule zwölf Mitschüler und einen Lehrer töten, typische Erklärungsversuche zu hinterfragen. So werden zuerst einmal alle Klischees geliefert, die man mit Amokläufen verbindet. Alex wird von Mitschüler mit Dreck beworfen und hört später diffuse Stimmen in der Schulmensa. Alex und Eric sehen einen Hitler-Film, spielen Ego-Shooter am Laptop und bestellen Waffen über das Internet.
Einige Klischees werden, zum Teil mit bösem Humor, entlarvt. So werden die Stimmen die
Alex hört, im Abspann der Musiktitel als »Meeting of International Conference of technological
Psychiatry«
von William S. Burroughs bezeichnet. Der amerikanische Schriftsteller und
Sozialphilosoph arbeitete übrigens bei »Drugstore Cowboy«
und »Thanksgiving
Prayer«
mit Regisseur Gus van Sant zusammen. Alex spielt »beschissen«
am
Computer. Der Hitler-Film ist mit den Worten unterlegt: »Alle Drehbücher müssen bewilligt
werden. Die Besetzung der Schauspieler ebenso.«
Eric bezeichnet abschließend Nazis als
»Bekloppte«
.
Der Rest, auch die in einigen Szenen angedeutete Beziehung von Alex und Eric, taugt nicht wirklich, um das
Massaker zu erklären und soll es wohl auch nicht. Man kann in verschiedenen Schlüsselszenen, die aus verschiedenen
Blickwinkeln mehrfach gezeigt werden (z.B. »Begegnung auf der Wiese«
und »Foto auf dem
Gang«
), etwas hinein interpretieren. Andere Schlüsselszenen entziehen sich gleich jeglichen
Interpretationsversuchen (z.B. der Beginn des Massakers in der Schulbibliothek).
»Elephant«
zeigt, wie die beiden zu hörenden Werke von Ludwig van Beethoven, Banalität und
Einfachheit (»Für Elise«
) und interpretierbare Fantasien (»Mondscheinsonate«
).
Der Mensch muß für Littleton, für Erfurt, für Emsdetten und für die Handlungsweise von Alex und Eric, Erklärungen finden.
Der Film liefert solche Erklärungen aber nicht. Man kann sich mit einfachen Wahrheiten zufriedengeben und alles auf
Videospiele oder Waffengesetze schieben, man kann auch Fragen stellen, aber ultimative Wahrheiten sind nicht zu finden. Es
bleibt die Erkenntnis, dass Gewalt Teil unserer Gesellschaft ist und in unser Leben platzt, wie ein Elefant in unser
Wohnzimmer.