Neuerscheinungen zur Buchmesse
Belletristik
Teil der Lösung von Ulrich Peltzer
Überwachungskameras am Potsdamer Platz, globalisierte Markenwelten und limitierte Bewegungsfreiheit: an Vorzeichen, die
jedes politische Handeln notwendig und zugleich illusionär erscheinen lassen, mangelt es nirgends. Christians Themen werden
zunehmend politisch. Als freier Journalist schlägt er sich mit journalistischen Gelegenheitsaufträgen durch, ist Teil eines
akademischen Proletariats, wie es in Berlin ganze Stadtviertel besiedelt. Selbst Mitte dreißig, hat er die Zeit des
bewaffneten Widerstands gegen die Staatsmacht nur noch als Echo miterlebt. Vielleicht sucht er gerade deshalb für eine
längst fällige Story Kontakt zu untergetauchten Ehemaligen der Roten Brigaden. In Paris soll ein wichtiger Informant
anzutreffen und bereit zum Reden sein. Zunächst aber trifft Christian auf Nele bzw. sie trifft ihn, mit dem Ellenbogen ins
Kreuz in der Tür eines Klubs. Von einer geheimnisvollen Wut getrieben, bewegt sich die hochbegabte Studentin durch den
Jahrhundertsommer 2003. Was mit ein paar ruppigen Zufallsbegegnungen eher harmlos beginnt, entwickelt sich zu einer
heftigen und verqueren Anziehung, deren Ausganzpunkt im neuen Berlin liegt und die ihren Show-down in den Arabervierteln
von Paris erlebt. Teil der Lösung ist ein hochaktueller Roman, der in einem rasanten Ineinander von einzelnen Szenen
abbildet, wie bruchstückhaft und vielfältig Wirklichkeit ist. Kontrollierter Raum und spielerische Störmanöver, Decknamen
und Spitzel, geheime Treffen und präzise Attentate auf den Alltag: Subtil verbindet Ulrich Peltzer eine störrische
Liebesgeschichte mit der Beobachtung neuer politischer Bewegungen in einer Grammatik der Überwachung. Eine atemraubende
Verschwörungsgeschichte von unmittelbarer erzählerischer Kraft.
Heimsuchung von Jenny Erpenbeck
Ein Haus an einem märkischen See ist das Zentrum, zwölf Lebensläufe, Geschichten, Schicksale von den Zwanzigerjahren bis
heute ranken sich darum. Das Haus und seine Bewohner erleben die Weimarer Republik, das Dritte Reich, den Krieg und dessen
Ende, die DDR, die Wende und die Zeit der Nachwende. Jedem einzelnen Schicksal gibt Jenny Erpenbeck eine eigene
literarische Form, jedes entfaltet auf ganz eigene Weise seine Dramatik, seine Tragik, sein Glück. Alle zusammen bilden
eine Art kollektives literarisches Gedächtnis des letzten Jahrhunderts, geformt in einer Literatur, die nicht nur
großartige Sätze und Bilder zu bieten hat, sondern die auch Wunden reißt, verstört, beglückt, verunsichert und versöhnt.
Worin das Geheimnis dieser Geschichten besteht, woraus sich ihr Glanz, ihre Wucht und ihre eminente Dramatik entfalten, ist
schwer zu sagen. Sicher aber ist eins: Mit diesem Buch ist Jenny Erpenbeck ihr Meisterstück gelungen. (FAZ)
Das dunkle Schiff von Sherko Fatah
Ein junger Iraker gerät unter die Gotteskrieger und flieht nach Deutschland. Ein kluger Abenteuerroman, der mit Spannung
zeigt, wie ein kleines Leben von großen Umwälzungen erfaßt wird. Das Buch erzählt die Geschichte des jungen Kerim, von
Beruf Koch, der sich aus dem irakischen Grenzland auf die beschwerliche und gefährliche Reise nach Europa macht. Von früh
an der Idee verfallen, sich zu verwandeln, hat er noch andere Gründe für seine Flucht, war er doch unter die Gotteskrieger
geraten und mit ihnen durch das Land gezogen, bevor er sich von ihrem Weg der Gewalt lossagte. Kerim, bemüht, in
Deutschland ein neues Leben zu beginnen, kann, obwohl er in dem fremden Land auch Zuwendung und sogar seine erste Liebe
findet, die Vergangenheit nicht abschütteln, vielmehr scheint diese sich fortwährend auf ihn zuzubewegen. In diesem Roman
geht es nicht um den Islam, sondern um den Extremismus, der viele Erscheinungsformen haben kann, um seine Verführungsmacht
und die Folgen. Extremismus entsteht nicht in einem Kopf, sondern unter realen Lebensbedingungen. So ist Kerims Geschichte
die eines kleinen, konkreten Lebens inmitten großer Umwälzungen, und sein spirituelles wie auch seine realen Abenteuer sind
nicht so außergewöhnlich, wie sie aus europäischer Sicht scheinen mögen. Viele haben sich wie er auf den Weg gemacht, viele
sind auch wie er verstrickt worden, wenn schon nicht immer aus nachvollziehbaren Gründen, so zumindest doch auf eine Weise,
welche auch die besten Nachrichtenbilder uns nicht zeigen können.
Sachbuch/Essayistik
Stefan George von Thomas Karlauf
Als Dichter, Prophet und Mittelpunkt eines Kreises ihm grenzenlos ergebener Jünger zählte Stefan George (1868 - 1933) zu
den einflussreichsten Figuren der deutschen Geistesgeschichte. Das Denkmal, das sich der »Meister«
errichtete, war vielen
Zeitgenossen allerdings zu hoch, und nach 1945 geriet George in Vergessenheit. Nach langjähriger Vorarbeit legt Thomas
Karlauf die erste George-Biographie in deutscher Sprache vor: ein faszinierendes Stück Zeit- und Sittengeschichte am
Vorabend der Katastrophe.
Vertrauen und Gewalt. Versuch über eine besondere Konstellation der Moderne von Jan Ph. Reemtsma
Warum sich die Soziologie mit den Phänomenen der Gewalt so schwer tut, ist eine der zentralen Fragen, mit denen sich das
vorliegende Buch beschäftigt. In seiner Studie analysiert Jan Philipp Reemtsma zunächst, was Vertrauen und vor allem
Vertrauen in die Moderne heißt - und in welcher Weise dieses Vertrauen an die besonderen Legitimationsanforderungen
gebunden ist, denen der Gebrauch von Gewalt in der Moderne unterworfen ist. Er fragt, wie extreme Destruktivität neben dem
modernen Programm der Gewalteinschränkung oder trotz dieses Programms bestehen kann und warum und wie das Vertrauen in die
Moderne ungeachtet der Gewaltexzesse des 20. Jahrhunderts fortbesteht. Das Buch untersucht die Phänomene der Gewalt in
ihrem unterschiedlichen Körperbezug und in ihrem Verhältnis zur Ausübung von Macht, es fragt, aus welchem Grund bestimmte
Gewaltformen in der Moderne tabuisiert worden sind, obwohl sie nach wie vor fortbestehen, und in welcher Weise dieses
Fortbestehen besondere Wahrnehmungs- und Analyseschwierigkeiten produziert.
Krieg ohne Fronten von Bernd Greiner
»Ich hatte meine Waffe auf Automatik gestellt. Deshalb kann man nicht sagen, wie viele man erschossen hat. Ich habe
vielleicht 10 oder 15 von ihnen erschossen.«
-»Männer, Frauen und Kinder?«
-»Männer, Frauen und Kinder.«
-»Und Babys?«
-»Und
Babys.«
-»Sind sie verheiratet?«
-»Ja.«
-»Kinder?«
-»Zwei.«
-»Wie alt?«
-»Der Junge ist zweieinhalb, das Mädchen
anderthalb.«
-»Dann drängt sich doch die Frage auf, wie der Vater von zwei kleinen Kindern Babys erschießen kann.«
-»Keine
Ahnung. Es kommt halt vor.«
-»Wie viele Menschen wurden an diesem Tag erschossen?«
-»Ich schätze an die 370.«
So beschrieb
Paul Meadlo in einem 1969 von CBS ausgestrahlten Interview das Massaker von My Lai. Die Bilder der zerstörten Dörfer, der
von Napalm verbrannten Kinder, von einem Land, auf das mehr Bomben geworfen wurden als auf alle Schauplätze des Zweiten
Weltkrieges zusammen, prägen die Erinnerung an den Vietnamkrieg und die Jahre zwischen 1965 und 1975.
Solus Rex. Die schöne böse Welt des Vladimir Nabokov von Michael Maar
»Lolita ist berühmt, nicht ich«
, sagte Vladimir Nabokov, der als einer der größten Autoren des 20. Jahrhunderts in
Deutschland bislang noch nicht mit einer Monographie gewürdigt wurde. Michael Maars fulminante Studie schafft Abhilfe.
Nabokov der Mandarin, der ein Werk voller kabbalistischer Rätsel hinterlassen hat - dieser Mandarin wird bei Maar zu einem
Menschen von zugleich heikler und sympathischer Größe. Maar erweist sich als glänzender Interpret und Spurensucher im so
vielschichtigen und faszinierenden Werk des großen Meisters. Er entdeckt verborgene Quellen, aufschlussreiche Anspielungen,
versteckte Zitate und geheimnisvolle Bilder. Brillant schildert er etwa, wie Nabokov die berühmte Erzählung Der kleine Herr
Friedemann des von ihm verachteten Thomas Mann in seiner eigenen Erzählung Der Kartoffelelf genialisch-böse karikiert. An
zahllosen Details zeigt er, wie eng Leben und Werk Nabokovs verknüpft sind. Wir erfahren von dessen jüngerem Bruder, der
elend in einem deutschen Lager starb, vom reichen Onkel, der den Jungen auf seinem Schoß reiten ließ, von den vielen
Vorläuferinnen des jungen Nymphchens und den zwei Kammern des Herzens, das in Lolita schlägt. Kein zweiter Autor hat den
Glanz der Welt so gefeiert wie Vladimir Nabokov, einer Welt, die aber zugleich so abgründig ist, als würde sie nicht von
Gott, sondern von einem bösen Demiurgen gelenkt. Für Nabokov-Kenner hält diese bahnbrechende Monographie einen Sack voller
Funde und Neuigkeiten bereit. Dem Laien malt sie das bewegende Bild eines singulären Künstlers, der am Ende wie der
chinesische Maler in seinem eigenen Gemälde verschwand.