AJZ?
Warum ein alternatives Jugendzentrum in Grünau so wichtig ist
Wer schon einmal des Nachts in einer Straßenbahn in Grünau von einem Jugendlichen mit ausgestrecktem Arm und den Worten
»Heil Hitler, du hässliche Zeckenschlampe«
begrüßt wurde, der muss nicht mehr lange von der Idee eines
Alternativen Jugendzentrums (AJZ) im Plattenbauviertel am Rande Leipzigs überzeugt werden. Der fragt sich lediglich, warum
es das nicht schon lange gibt - praktisch als Gegenpol zur derzeitig wieder erschreckend national geprägten
Jugend(sub)kultur allerorts in Leipzig. Denn - Kurt Tucholsky möge mir verzeihen - küssen möchte man keinen dieser
Faschisten. Eigentlich noch nicht einmal treffen.
Letzteres wird leider zusehends schwerer im hiesigen Stadtteil. Und doch ist Grünau noch längst keine No-Go-Area für
Andersdenkende oder Ausländer. Mit dem Ziel, dass das auch so bleiben möge, hat eine Gruppe junger Linker vor knapp vier
Jahren den Verein »Bunte Platte«
gegründet und ihr Domizil am Kulkwitzer See bezogen. Das selbst
verwaltete AJZ, das mit Hilfe der Mobilen Jugendarbeit und dem Wohlwollen der Leipzig Seen GmbH in einer baufälligen
Baracke entstand, war ein erster Versuch, alternative Jugendkultur in Grünau zu etablieren. Ein Versuch, der jedoch schnell
zu Nichte gemacht wurde. Ständige Überfälle Rechtsgesinnter auf das Objekt und dessen Nutzer (»Grün-As«
berichtete in Online-Ausgabe 2007/31) veranlassten den Vermieter im Oktober
vergangenen Jahres den bestehenden Vertrag zu kündigen.
Seither ist die »Bunte Platte«
faktisch obdachlos, ihre Treffen finden in Privaträumen statt - an die
Umsetzung ihres selbst erarbeiteten Konzeptes ist unter diesen Umständen natürlich nicht zu denken. Die ohnehin lose
zusammengewürfelte Gruppe droht unter diesen Umständen zu zerfallen. Schon jetzt zieht es die jungen Leute vermehrt in den
Szene-Stadtteil Connewitz. Denn dort gibt es fast schon ein Überangebot von Freizeitaktivitäten und eine wesentlich
angenehmere, da links-hegemoniale Atmosphäre.
Genau da jedoch sieht der junge Vereinsvorsitzende Marcus den Ansatzpunkt der »Bunten Platte«
:
»Wir wollen unbedingt hier bleiben und im Stadtteil etwas bewegen. Es geht doch nicht nur um uns und unsere Gruppe,
sondern auch darum, den Kids, die nicht einfach so wegziehen können, in Grünau etwas anbieten zu können. Die Zeit für
alternative und selbst verwaltete Freiräume drängt immer. Sobald es Jugendliche in einer Überproportion gibt, wie das
natürlich in Grünau der Fall ist, ist die einzige Bedingung für das Errichten eines Alternativen Jugendzentrums erfüllt.
Dort können sich die Jugendlichen austoben und selbst verwirklichen.«
Würde ein AJZ in Grünau verhindert, könnte
dies das Ende des Vereins bedeuten, was wiederum einem Schritt in Richtung »national befreite Zone«
gleichzusetzen wäre - ein Szenario, dessen Problematik man sich schon heute in vielen ländlichen Gemeinden und Kommunen
veranschaulichen kann und dem man hier zuvorkommen könnte.
Denn zumindest in der Frage des Domizils wäre Hilfe seitens der Verantwortlichen denkbar. Der Stadtteil verfügt ja
glücklicherweise nicht nur über jede Menge Grün, sondern auch über unzählige leer stehende Gebäude. Bereits im Januar
machte sich darum das Quartiersmanagement gemeinsam mit einem Teil der Jugendlichen auf den Weg, um geeignete
Räumlichkeiten ausfindig zu machen. Sie wurden auch fündig, doch: »Schnell stellte sich bei der Recherche heraus,
dass es bei jedem Objekt einen Haken gibt. Eines dieser Gebäude beispielsweise ist vor geraumer Zeit abgebrannt und daher
nicht mehr nutzbar. Ein anderes steht für 28.000 Euro zum Verkauf an«
, so Stadtteilmoderatorin Antje Kretzschmar
vom QM.
Unnötig zu erwähnen, dass Niemand so viel Geld aufbringen kann. Ein Hoffnungsschimmer war daher eine eventuelle
Förderung durch das Jugendamt. Ein Gesprächstermin wurde vereinbart, das Ergebnis war ernüchternd. So war eine
Voraussetzung für Förderung, akzeptierende Jugendarbeit zu praktizieren. Das lehnte die »Bunte Platte «
jedoch verständlicherweise ab. Denn das hieße, die Jugendlichen, von denen sie vehement bekämpft werden, in ihr Domizil zu
lassen. Sprich: Das Jugendzentrum wäre offen für alle - auch für Nazis. Und dies entspräche so gar nicht der Grundidee des
geplanten AJZ.
Nachdem auch diese Möglichkeit ausschied, war guter Rat teuer - um genau zu sein rund 1000 Euro wert. So viel nämlich würde die Miete für einen Flachbau in der Alten Salzstraße, im WK II monatlich betragen. Dieser ist in Besitz der Stadt Leipzig und stellt derzeit die einzige Chance für die Jugendlichen dar, auch wenn sie einen Mietzins von zwei Euro pro Quadratmeter zuzüglich Betriebskosten beim besten Willen nicht finanzieren könnten. Vielmehr hofften sie auf ein Entgegenkommen der Verwaltung und die Bereitstellung der Räumlichkeiten zum Betriebskostenpreis. Eine Anfrage wurde gestellt, negativ beschieden, nun ruhen die Gespräche, die Zeit drängt, die jungen Leute sind genervt vom Stillstand und machten ihrem Unmut am 12. April in Form einer kraftvollen Demonstration durch ihr Viertel Luft.
Das Ziel, die Bewohner des Stadtteils über das Problemfehlender Räume für ein AJZ aufzuklären, wurde leider nicht ganz
erreicht, was weniger den rund 300 Demonstrationsteilnehmern, sondern vielmehr den Begleitumständen geschuldet war. Die
objektive Wahrnehmung nämlich suggerierte Stress und manch einer wird sich beim Anblick der überzogen zur Schau gestellten
Staatsmacht in Grün und Blau und voller Schutzmontur sowie hektisch hin- und her fahrenden Einsatzfahrzeugen gedacht haben:
»AJZ = Ärger«
. Verängstigt waren denn auch die Bürger, die am Montag nach der Demo bei Antje Kretzschmar
im Büro standen und fragten, was das denn gewesen sei. »Es ist schwer den Leuten, die Berührungsängste zu nehmen.
Sollte das AJZ wirklich in den Flachbau ziehen, sehe ich jede Menge Konfliktpotenzial«
, warnt Kretzschmar.
Beunruhigt im wahrsten Sinne des Wortes wären in diesem Falle vor allem die Bewohner des Elfgeschossers Alte Salzstraße. Sie bakamen an jenem Samstagnachmittag schon einmal einen kleinen Vorgeschmack: Denn der Demozug fürte zum Objekt der Bunte-Platte-Träume. Dort luden die Veranstalter zum abschließenden Zusammensein mit Musik und veganem Imbiss ein und vermittelten so einen Eindruck davon, wie sie sich die Etablierung alternativer Jugendkultur an dieser Stelle vorstellen. Nun mag sich angesichts der tristen Ladenstraße im WK II der ein oder andere vielleicht sogar freuen, dass in absehbarer Zeit vor seinem Fenster endlich mal wieder etwas los wäre und das AJZ begrüßenswert finden. Vielleicht sind Anwohnerbeschwerden gar am schnellsten im direkten Miteinander lösbar.
So, wie einige Wenige eine zaghafte Annäherung wagten, in dem sie an jenem Nachmittag über den Platz schlenderten und
sich die etwaigen neuen Nachbarn aus der Nähe betrachteten, sind auch die jungen Leute um einen Konsens bemüht:
»Wir möchten die Bürger über unsere Idee des AJZ, das die Eigeninitiative und das Engagement der jungen Menschen
in ihrem Stadtteil definiert, aufklären und davon begeistern«
, meint Marcus, der die Bedenken des QM nicht teilt.
Wie ein Zusammenleben funktionieren könnte, bleibt abzuwarten. Weitaus größer scheinen da momentan die in der Planung
befindlichen Umstrukturierungs- und Aufwertungsarbeiten in eben diesen Bereich. Gerüchte um einen eventuellen Abriss des
Flachbaus kursieren, die keiner offiziell bestätigen aber auch nicht dementieren kann oder will. Fest steht, dass das
Kinder- und Jugendtheater »Theatrium«
seine neue Spielstätte in einem Gebäude in unmittelbarer
Nachbarschaft zum angestrebten AJZ beziehen wird. Die Schauspielzunft scheut die Nachbarschaft nicht.
»Wir haben schon in der Vergangenheit mit der Gruppe gemeinsame Projekte vorangebracht. Für uns und unsere
Philosophie wäre die unmittelbare Nähe zu einem solchen Jugendzentrum kein Problem«
, so Erik Hoffmann vom
»Theatrium«
. Das in der Pipeline befindliche Konzept »Junge Salzstraße«
könnte somit
auch die Einbeziehung der »Bunten Platte«
bedeuten und damit eine Bereicherung erfahren, bekräftigt auch
ASW-Abteilungsleiter Stefan Geiss.
Nun mahlen die Mühlen der Verwaltung, aber sie mahlen bekanntlich langsam. Durch die öffentlichkeitswirksame
Demonstration ist wieder ein wenig Bewegung in die Sache gekommen. Das Quartiersmanagement bietet weiterhin seine Hilfe an
und will bei bereits georteten Objekten noch einmal »nachhaken«
. Die Bunte-Platte-Mitstreiter - obwohl
voll jugendlicher Ungeduld - sind ebenfalls nach wie vor an Gesprächen interessiert, haben aber nach den - ihres Erachtens
- fruchtlosen Zusammenkünften der Vergangenheit, nun klare Forderungen. Und auch die Kommunalpolitik ist nicht untätig und
meldet sich zu Wort.
Jürgen Kasek von den Grünen: »Wir unterstützen das Projekt der jungen Leute genauso wie die LINKE. Jetzt kommt
es darauf an, wie sich die SPD positioniert. Zusammen könnte man auch auf politischer Ebene etwas erreichen -
beispielsweise die Nutzung des Flachbaus zum Betriebskostenpreis.«
So es ihn dann noch gibt...
...Bei allen Unklarheiten das Projekt betreffend, scheint eines jedoch unabdingbar: An einem baldigen Gespräch unter Einbeziehung aller beteiligten Ämter, Involvierter und Unterstützer kommt man nicht drum herum. Eines sollte man den Entscheidungsfindern von außerhalb jedoch ganz dringend ans Herz legen: Fahren Sie vorher unbedingt nachts einmal mit der Straßenbahn durch Grünau.
Klaudia Naceur>