Wir Reiseweltmeister
Deutschland macht Urlaub
Unter dieser Überschrift produziert die ARD eine historische Betrachtung des Urlaubsverhaltens der Deutschen in Ost und West seit den fünfziger Jahren. Start der dreiteiligen Serie ist der 20. Juni 2011 und dann fortlaufend jeden Montag.
Nun mag das insgesamt ja nicht so weltbewegend sein, denn die Urlaubswünsche waren weitestgehend in West und Ost gleich: Sommer-Sonne-Meer oder Schnee und Ski und gute Pisten. Ja, auch Städtereisen mit Autobussen waren beliebt und stets ausgebucht. Hüben wie drüben. Der Unterschied lag, wie stets, in der Mitte: In der Mitte Deutschlands verlief die Grenze und da schieden sich die Geister.
Während die Westdeutschen schon sehr früh Spanien und Italien als Urlaubsfavoriten ausgemacht hatten und zu Ferienbeginn für verstopfte Straßen und Staus auf Autobahnen sorgten, sahen in den Fünfzigern und Sechzigern die Ostdeutschen noch den eigenen Garten mit Datsche (die im Laufe der Jahre je nach Materialzulieferung in den Betrieben ausgebaut wurde und am Ende des Monats für betriebliche Stillstandzeiten sorgte, weil kein Material mehr da war), als ihr Urlaubsparadies. Da war Leipzig und auch der Stadtteil Grünau sehr führend und machte den Erfindern der Schrebergärten mit Hauschildschem Charme alle Ehre. Ist Leipzig doch auch bis heute die Hochburg der Klein- und Schrebergärten geblieben.
Aber es kamen auch für den Osten die Zeiten, dass sich innerhalb des »Warschauer Vertrages«
und damit auf der Basis der
»Vereinigung für gegenseitige Wirtschaftshilfe«
die Grenzen nach Osten hin öffneten. Reise wurden angeboten nach Sotschi, Pizunda,
Jalta, ans Schwarze Meer der Sowjetunion (was natürlich konkret die Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik war), aber auch Städtereisen
Kiew-Moskau-Leningrad, später dann sogar erweitert nach Tiblissi, Jerewan, Baku, auch Samarkand und Buchara, Taschkent, Uspekistan, standen im Angebot.
Dann erst kamen die anderen Staaten der »Sozialistischen Bruderländer«
, wie das Rumänische Karpatengebirge und die Perlenkette am
Schwarzen Meer, dem sich Bulgarien mit Rilagebirge und Sonnenstrand anschloss. Die hohe Tatra wurde in der Slowakei erschlossen, Prag und Pilsen und Brünn
bei großen Sportereignissen. Der Balaton (oder Plattensee) war fest ist ost- und westdeutscher Hand. Das polnische Riesengebirge und die Städtereisen in
ehemals deutschen Städte, die Masuren und das Memelland wurden Attraktionen. Nicht für jeden und nicht jedes Jahr. Man musste früh aufstehen, um sich
vor dem Bezirksreisebüro in die Schlange derer einzureihen, die eine solche Auslandsreise zu erlangen hofften.
Wem es nicht gelang, der versuchte sich auf einem der neu entstandenen Campingplätze von den Ostseeinseln bis ins Erzgebirge oder den Thüringer Wald einen Standplatz zu ergattern. Oder es gelang ihm in einem der betriebseigenen Ferienheime eine befristete Bleibe zu finden. Auch die gewerkschaftlichen Ferienheime mit FDGB-Ferienschecks für 30,- DDR-Mark inklusiver DR-Reise-Vergünstigung flotierten immer mehr. Und dann tauchten so um 1980 die erste EXOTEN auf den Straßen der DDR auf. Es waren die, die schon ein Auto besaßen, jetzt aber so ein eigenartiges Gebilde noch auf dem Autodach, aus dem in wenigen Minuten ein Zelt wurde. Komplett eingerichtete mit Matratze Bettwäsche, Innenlicht.
Es waren keine Indianer. Ihr Tipi stand auf dem Autodach: die Autodachzelter der DDR. Aus dem Stadtteil Grünau waren 24 beim einzigen Autodachzelterclub
der DDR im ADMV der DDR organisiert. Sie hatten den Vogel abgeschossen. Rechts ran fahren, irgendwo, wo man parken durfte, Zelt aufschlagen und schlafen.
Keine Probleme mit Campingplätzen und Reisebüros. Und sie witzelten über sich selbst in ihrem Dachzelter-Song: »Wir fahr'n mit unserm Dachzelt
durch Europa, denn Minnesota ist uns doch zu weit. - Wir haben auf dem Dach die gute Laune, man hör und staune, es ist Urlaubszeit...«
Über ihre Geschichte wird die Sendung am 04. Juli berichten, und als ehemaliger Reiseleiter und Chef des Autodachzelterclubs und Autor des Kultbuches über Autodachzelte (die es noch heute gibt) weiß ich in der Sendung viel zu erzählen. Ich zähle auf Sie als Zuschauer.
D.-E. Mickeleit