Grün-As

Augenblicke und Schalom

Augenblicke sind Momente der Zeit. Nur jetzt, nur in diesem Augenblick, zeigen sich Dinge, Personen, Natur und Geschehnisse so, wie sie gerade sind. Und diesen richtigen Augenblick zu finden, das ist die Kunst des Fotografen, denn nie wieder wird dieser Moment wiederkehren oder einem Anderen der gleiche Blick vergönnt sein, es sei denn, ein Fotograf hat ihn festgehalten.

Und einer, der »vom Nordpol zum Südpol« zu Fuß unterwegs ist mit 84 Jahren, um uns die Schönheit des Lebens nahe zu bringen, ist Rudi Strinitz aus Grünaus WK 2. Vor Kurzem ist eine wunderbare, große Bilderschau im Allee-Center zu Ende gegangen, zeugen aber noch Aufnahmen in einigen Gängen (zum Babywickelraum beispielsweise) von der hohen Kunst der Fotografie, die Strinitz nicht studierte, nicht erlernte. Er ist Autodidakt. Alles hat er ausprobiert und erprobt und sich so die Wissenschaft der Fotografie angeeignet.

»Alles hat damit angefangen, dass mir mein Großvater, der selbst ein begeisterter Hobby-Fotograf war, eine Plattenkamera samt Zubehör schenkte«, schreibt Rudi Strinitz im Text zu seiner Ausstellung. Das war so um 1940, als der Vierzehnjährige sich mit der »Chemie der Fotografie« auseinander setzte, selbst entwickelte, vergrößerte, fixierte, damals vorwiegend noch in Schwarz-Weiß. »Während meiner Klosterzeit im Ordenshaus der 'Armen Franziskanerinnen von der Hl. Familie' in Pirmasens wurde ich von katholischen Nonnen erzogen und meine Ausbildung zum zukünftigen Pfarrer hatte meine Zustimmung gefunden«, erzählt Strinitz. »Ich war sehr fromm und ein geradezu vorbildlicher Katholik, der bereits angefangen hatte, Latein zu studieren.« Der Plan zerschlug sich, wie auch viele andere Träume.

Mit Ausbruch des Krieges wurden die Zöglinge aus Sicherheitsgründen ins Hinterland befördert beziehungsweise ihren Eltern zurück gegeben. So auch Rudi Strinitz und seine Geschwister, ein Bruder, Heinz, von dem gerade im Engelsdorfer Verlag das Buch »Leise Spur im Schrei« (ISBN 978-3-86268-348-2) über diese Zeit erschienen ist, und die Schwester Inge. Strinitz wurde eingezogen, in Ägypten gefangen genommen und in ein Internierungslager verbracht. Eine nicht benannte Tropenkrankheit förderte die Entlassung nach Deutschland. Hier beschäftigte er sich wieder mit der geliebten Fotografie und vertiefte seine Kenntnisse im Selbststudium immer mehr.

In der DDR belieferte er, neben der »LVZ«, viele Zeitungen, Zeitschriften und Magazine mit Fotos. Vor dreißig Jahren leuchtete es auf, wie ein Blitzlicht. Es war Liebe auf den ersten Blick. Er lernte seine Frau Lea kennen und nur sie sollte es sein und wurde es. Sie teilte sein Interesse für die Fotografie, war kritisch zuweilen und sparte auch nicht mit Lob. Und sie öffnete ihm eine ganz andere Welt, eine ganz neue Betrachtungsweise des Lebens aus jüdischer Sicht. »Ich empfand das Judentum als eine praktische Religion. Heute ist diese Entscheidung zu einer festen und schönen Bindung mit meiner Frau geworden, die ich nicht mehr missen möchte. Ganz besonders die hohe Ethik und großzügige Freiheit bei der persönlichen Entscheidung bei der Einhaltung der religiösen Vorschriften und Gesetze haben es mir angetan.« Lea lächelt, als Rudi ihre Hand berührt.

Bild
Rudi Strinitz

»Heute habe ich mir mit der Hilfe meiner Frau ein umfangreiches Wissen angeeignet, das mich befähigt, gemeinsam mit Lea als Dozenten für jüdische Religion und Geschichte hochkarätige Vorträge, auch in der Volkshochschule Leipzig zu halten«, sagt Rudi stolz. Der letzte Vortragszyklus »Wie Juden leben« ist am 30. Mai zu Ende gegangen und er schuf bei den Kursbesuchern ganz sicher ein neues Verhältnis zur jüdischen Geschichte und Kultur, die auf eine sehr intensive und lange Tradition in Leipzig zurück blicken kann.

1991 reisten beide nach Israel aus und lebten sieben Jahre in Jerusalem, hoffend, dort dereinst ihr Leben zu beschließen. Doch es sollte anders kommen. Rudis schwere Tropenkrankheit kehrte zurück. Die Ärzte wussten keinen Rat und Spezialuntersuchungen waren nicht möglich. Rudi besaß keine Versicherung in Israel. So kehrten sie schweren Herzens 1998 nach Deutschland zurück.

»Es war ein absoluter Schock für uns«, sagt Lea. »Wir fingen wieder ganz von vorne an und hatten buchstäblich Nichts. Dazu kam der kulturelle Schock. Alles hatte sich verändert, war kapitalistisch geworden, aber anders, als wir es von Israel gekannt hatten. Überall sahen wir den Verfall, die hohe Arbeitslosigkeit, den Unmut der Menschen und den Zorn auf die 'Sieger der Geschichte'.« Und nach einer Weile des Nachdenkens sagt sie tief bewegt: »Es war unser Glaube, unsere feste Überzeugung von der Richtigkeit unseres Weges und unseres Lebens, und wir wollten denen das wieder geben, was sie uns gegeben hatten.«

»Schalom« ist die 9. Jüdische Woche vom 26. Juni bis 3. Juli überschrieben, die unter dem Dach der Stadt Leipzig realisiert wird. Vor zwei Jahren nutzten über 8.000 Besucher die vielfältigen Veranstaltungen in den unterschiedlichsten Einrichtungen. 1.300 Mitglieder zählt gegenwärtig die Israelitische Religionsgemeinde Leipzig und ist damit die zahlenmäßig stärkste in Sachsen. Immer mit dabei Lea und Rudi Strinitz, die unlängst erst wieder in Jerusalem zu Besuch waren.

Als ich mit den Beiden sprach, übertrugen sie hebräische Texte ins Deutsche, um sie am Computer auszudrucken und mit kunstvoll verziertem Fotorahmen zu einem Wandschmuck zu gestalten. Viele dieser Texte zieren auch die Wände ihrer Wohnung. »Mit offenem Blick und frohem Mut werden wir auch weiterhin und insbesondere in dieser '9. Jüdischen Woche in Leipzig' von Israel und vom Leben der Juden erzählen, Bilder vorlegen, Dias zeigen und das Verständnis der Menschen für das Judentum wecken, denn wer Wissen hat, kann handeln.« Das sind Lea Strinitz Abschiedsworte. Rudi Strinitz ergänzt: »Wir sind fröhliche Menschen, denn: Wer fotografiert sieht mehr im Leben!«

Ditmar-E. Mickeleit
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