Im »Grün-As« -Interview: Landschaftsplanerin
Regina Dietrich zum Projekt »Urbaner Wald«
»Das wird zunächst ganz wild aussehen«
Auch wenn es in der Vergangenheit oft nicht den Anschein hatte, aber Stadtumbau ist mehr als nur Abriss von Wohnflächen oder Rückbau von Infrastruktur.
Tatsächlich sind diese oft nur Wegbereiter für eine umfangreiche, nachfolgende Neugestaltung der somit gewonnenen Flächen. Eine solche befindet sich ganz
am Rande des WK 7, dort wo einst der gigantische Elfgeschosser der LWB thronte, in der Neuen Leipziger Straße.
Mit dem Abbruch des als »Eiger Nordwand« bekannt gewordenen Häuserblockes im Sommer 2007 entstand ein Areal, das geradezu nach
sinnvoller Nachnutzung bettelte. Bereits zu diesem Zeitpunkt gab es die Idee, eine Art Nutzwald aufzuforsten. Fünf Jahre sind vergangen, aus Nutzwald wurde
Urbaner Wald und engagierte Leute haben das, von Vielen einst als spleenige Idee abgetane Vorhaben weiterentwickelt. Eine dieser Visionäre ist
Landschaftsplanerin Regina Dietrich. »Grün-As« unterhielt sich mit ihr über den kleinen Wald, der noch in diesem Jahr am Rande Grünaus
entstehen wird.
Grün-As Die Fläche ist seit knapp fünf Jahren frei. Beinah zeitgleich entstand die Idee der Nachnutzung, die jetzt umgesetzt wird.
Warum hat das so lange gedauert?
Regina Dietrich Bedenkt man die komplexen Vorbereitungen, sind fünf Jahre eigentlich keine lange Zeit. Wir haben zunächst eine Voruntersuchung
durchgeführt, in der rechtliche und Eignungsfragen, aber auch Anforderungen der Beteiligten an die Nachnutzung zu klären waren. Da muss die Finanzierung
stehen - immerhin ein Gesamtvolumen rund 700 000 Euro für Flächenverfügbarmachung, Abbruch, Vermessung, Planung und andere Gutachten und die Realisierung
der Umgestaltung, finanziert aus Städtebaufördermitteln und Naturschutzförderung. Es bedarf einer Reihe unterschiedlicher Genehmigungen, der Zustimmungen
der Leitungsträger und Ämter sowie der Ingangsetzung politischer Entscheidungsprozesse und einer breiten Kommunikation im Stadtteil mit Bürgern, Quartiers-
und Stadtbezirksbeirat, Gemeinbedarfseinrichtungen wie Schulen, Kindergarten et cetera. Es gab natürlich wie bei jedem komplexen Projekt Schwierigkeiten
und auch individuelle Verzögerungen.
Plan: Urbaner Wald im WK 7
Grün-As Die da waren?
Regina Dietrich Der Ankauf der Flächen war nicht ganz einfach. Das Ringen um die Gaststätte »Zur Klinke« hat das Vorhaben beispielsweise um ein
Jahr verzögert.
Grün-As Hinzu kommt, dass Supermarkt und Physiotherapie nebst erforderlicher Zufahrt ausgeklammert werden müssen - ist das nicht ärgerlich für
das Gesamtvorhaben?
Regina Dietrich Ja und nein. Für den Wald hätte ich mir eine möglichst zusammenhängende Fläche gewünscht, die wäre unter Einbeziehung des
Standortes der Physiotherapie am tiefsten in der räumlichen Ausdehnung zwischen Neuer Leipziger und Plovdiver Straße gewesen. Der Förster ist mit Zufahrten
und Querungen der Flächen unter forstlichem Blickwinkel nicht glücklich, aber wir wollten ja auch eine den Nutzern gerecht werdende Wegeinfrastruktur
zwischen Wohnen, Schulen und anderen Einrichtungen und zu den Haltestellen. Außerdem möchten wir Niemanden verdrängen - vorhandene Angebote wie
Physiotherapie und Sport an ihrem Standort erhalten. Mit dieser Entscheidung bin ich sehr zufrieden. Diese Schwierigkeiten haben wir gern mit Blick auf die
Anwohner und die Verbesserung des Wohnumfeldes in Kauf genommen. Uns interessiert es auch, zu untersuchen, wie man mit solchen Herausforderungen zukünftig
umgehen kann.
Grün-As Heißt das, das Projekt wird wissenschaftlich begleitet?
Regina Dietrich Genau. Es handelt sich bei dem »Urbanen Wald« um eine neue Freiflächenkategorie neben Park und Wald wie wir
sie kannten, die im Rahmen eines sogenannten Entwicklungs- und Erprobungsvorhabens durch eine wissenschaftlichen Begleitung unter anderem sozial,
forstbiologisch, stadtklimatisch und auf die Übertragbarkeit auf andere Standorte hin untersucht wird. Das ist einzigartig in dieser Form und hat
bundesweiten Modellcharakter. In Grünau wird erst die zweite Fläche nach diesem Konzept umgestaltet, das durch das Bundesamt für Naturschutz gefördert und
evaluiert wird.
Grün-As Für welchen Zeitraum ist die Studie angesetzt?
Regina Dietrich Zunächst für fünf Jahre. Diesen Zeitraum benötigen die Bäume, die bei der Pflanzung etwa hüft- bis brusthoch sein werden, um
geschützt zu wachsen und den Zustand einer sogenannten gesicherten Kultur zu erlangen. Danach gelten sie als überlebensfähig. In dieser Zeit werden die
einzelnen Baumquartiere auch eingezäunt und nicht begehbar sein.
Grün-As Bedeutet das, die gesamte Fläche kann in den kommenden fünf Jahren nicht genutzt werden?
Regina Dietrich Nein, natürlich nicht. Es wird ja lediglich gut die Hälfte der rund fünfeinhalb Hektar großen Fläche aufgeforstet. Das übrige
Areal setzt sich aus vorhandenen Gehölzbeständen, Aufenthaltsflächen und Wegen zusammen. Diese stehen nach der Umgestaltung sofort zur Verfügung.
Grün-As Kann man da überhaupt noch von Wald sprechen?
Regina Dietrich Sicher nicht von einem Wald im herkömmlichen Sinne. Aber das ist auch nicht die Idee, die dieser Art von Freiflächen zugrunde
liegt. Es geht ja darum, wie innerstädtische Brachflächen - und die sind eben nicht riesig groß - sinnvoll und kostengünstig nachgenutzt werden können. Im
weitesten Sinne ist der Urbane Wald also eine grüne Nachnutzung, die verschiedene Wohlfahrtswirkungen des Waldes mitten in die besiedelten Quartiere
hineintragen und mit ihnen verbinden soll. Die vorhandene Vegetation wird dabei integriert und die Spuren der Vornutzung erhalten, wenn nutzbares Material
geborgen werden kann. So verbinden sich Altes und Neues.
Grün-As Apropos integriert: Wie wurden und werden die Anwohner eigentlich in Vorbereitung und Umsetzung mit einbezogen?
Regina Dietrich
Regina Dietrich Gut, dass Sie das ansprechen. Dieser Punkt ist uns nämlich besonders wichtig. Da das Vorhaben einen Qualitätsgewinn für das
Gebiet, ja eigentlich für ganz Grünau und seine Bewohner bringen soll, haben wir so früh wie möglich begonnen, den Kontakt im Stadtteil zu suchen. Sowohl
im Stadtbezirksbeirat, als auch im Quartiersrat und zuletzt bei einer Bürger-Veranstaltung im Klinger- Gymnasium haben wir das Projekt vorgestellt und ein
positives Feedback, aber auch zahlreiche interessierte Fragen erhalten, die ein Interesse bekunden, das uns sehr freut und anspornt.
Grün-As Das wundert mich nicht, ist doch ein innovatives Projekt...
Regina Dietrich Wir hatten mit Widerständen gerechnet, aber wir freuen uns über das konstruktive Miteinander. Schwierig genug bleibt es durch
die ganzen Technischen Fragen, die Koordinierung und den bevorstehenden Bauablauf, wenn die Planung fertig und abgestimmt ist. Natürlich möchte ich nicht
verhehlen, dass es auch Sorgen und Ängste seitens der Bürger gibt. Ein Anwohner befürchtete beispielsweise, dass die entstehende Grünanlage mit ihren
Sitzgelegenheiten von Trinkern genutzt werden könnte (siehe Leserbrief - Anm. d. Red.).
Grün-As Was kann man dem entgegnen?
Regina Dietrich Einen Geheimtipp haben wir nicht parat, aber von vornherein eine Planung zurück zu ziehen, weil es Befürchtungen in diese
Richtung gibt, wäre sicher die falsche Herangehensweise. Vielmehr haben wir die Erfahrung gemacht, dass sich Zweckentfremdung und Vandalismus in Grenzen
halten, wenn eine Fläche als Angebot von den Anwohnern akzeptiert und dementsprechend auch von ihnen frequentiert wird. Jeder achtet ein bisschen mehr auf
seine Mitmenschen und sein Umfeld. Nicht zuletzt darum war es uns auch so wichtig, die Bewohner und Institutionen und Vereine, die künftigen Nutzer also,
rechtzeitig mit ins Boot zu holen.
Grün-As Von welchen Institutionen ist die Rede?
Regina Dietrich Zum einen stehen wir in engem Kontakt mit dem Gutburg Mieterservice, deren Häuser in unmittelbarer Nachbarschaft angesiedelt
sind und der allein dadurch schon ein Interesse an der Umgestaltung der Brachfläche hat. Wir konnten das Unternehmen sogar als Sponsor für die geplante
Skaterplaza gewinnen, die dann der Urban Souls e.V. unter seine Fittiche nehmen wird. Außerdem ist eine Kooperation mit den im Quartier ansässigen Schulen
im Gange. Mit Ihnen soll ein grünes Klassenzimmer auf dem Areal geschaffen werden.
Grün-As Interessant - was genau kann man sich darunter vorstellen?
Regina Dietrich Zum Beispiel, dass die Schüler ganz aktiv an der Baumpflanzung im Herbst beteiligt werden - wie übrigens alle interessierten
Bürger. Für das grüne Klassenzimmer haben wir geplant, die Baumarten, die dann zunächst geschützt innerhalb des Zaunes heranwachsen, auch außerhalb als
einzelne Exemplare zu pflanzen. Die Schüler haben so besser die Möglichkeit, die Entwicklung ihres speziellen Bäumchens aus allernächster Nähe von Anfang
an zu beobachten. Wobei wir wieder beim Wald wären.
Grün-As Welche Art von Wald soll eigentlich entstehen?
Regina Dietrich Es wird sich um einen Laub-Mischwald handeln, bei dem Waldbaumarten mit Ebereschen gemischt werden. Die Voruntersuchung des
Geländes hat ergeben, dass die Esche für dieses Gebiet besonders gut geeignet ist und darauf nehmen wir Rücksicht. Die Mischung der Gehölze sorgt
beispielsweise für ein individuelles Bild des Wäldchens und für interessante jahreszeitliche Aspekte wie eine schöne Laubfärbung.
Grün-As Das klingt ja regelrecht romantisch...
Regina Dietrich Das ist es auch, nur leider dauert es noch ein bisschen, bis sich die Wirkung so richtig entfaltet. Die lange Entwicklungszeit
eines Waldes erfordert Geduld und wird vielleicht trotz interessanter Entwicklungsstadien, sich zwischenzeitlich ansiedelnden Vögeln und Faltern als
Nachteil empfunden. Hinzu kommt, dass in den bereits angesprochenen fünf Jahren, das Gelände zunächst ziemlich wild aussehen wird. Die Bäume sollen in Ruhe
wachsen, da wird extensiv mit wenigen Pflegedurchgängen gepflegt und es gibt ganz verschiedene Phasen der Entwicklung, die man im Übrigen sehr genau
beobachten kann.
Grün-As Wie das, wenn das Gelände doch eingezäunt ist?
Regina Dietrich Der Schutzzaun lässt den ungehinderten Einblick von allen Seiten zu. Außerdem haben wir gute Erfahrungen auf der ersten
Modellfläche im Leipziger Osten mit einer Art Aussichtsturm, der den Hochsitzen im Wald nachempfunden ist, gemacht. Von dort ist das Wäldchen einsehbar.
Man wird vielleicht auch spüren, dass sich auf einer Fläche, wo Pflanzen und Tiere einen geschützten Raum haben, nicht nur ein ganz eigenes Klima
entwickelt, sondern auch eine größere Artenvielfalt.
Grün-As Und ab wann darf man nun das Wäldchen heranwachsen sehen? Sprich: Wie geht es konkret weiter?
Regina Dietrich Im Frühjahr wird die Planung fertiggestellt, dann folgen die Ausschreibungen. Im Sommer werden Wege und die Aufenthaltsflächen
angelegt und im Herbst wird gepflanzt.
Grün-As »Grün-As« freut sich drauf, wünscht Ihnen viel Erfolg bei diesem Projekt und bedankt sich für das Gespräch.
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