Früher war alles besser
Gedanken anlässlich des neuen Schuljahres von Leserin Frau Janowski
Früher war alles besser. Sagte meine Oma und die musste es wissen. Ich bin noch nicht Oma - andere Frauen in meinem Alter schon - aber ich ertappe mich ab und zu bei dem gleichen Gedanken. Besonders dann, wenn ich mit den Ausdünstungen dieses als Bildungssystem getarnten Verblödungssystems zu tun bekomme. Oder wie soll man es sonst nennen?
Schreiben? Fehlanzeige. Es gibt Arbeitsblätter, in denen nur noch die entsprechenden Lücken ausgefüllt werden. Herrliche Zettelwirtschaft. In gebundener Form als Arbeitshefte auch nicht besser, weil ungefähr die Hälfte ungenutzt bleibt. Aber Mama und Papa können zahlen. Im Moment brennt der Streit, ob die Schulen dafür aufkommen müssen wegen der Lernmittelfreiheit. Jedes Heft zwischen 5 und 7,50 Euro, das summierte sich schon in der Grundschule zu satten 40 bis 50 Euro allein für die Arbeitshefte. Undenkbar, dass die Schulen dafür aufkommen können. Wahrscheinlich dauert es noch ein bis zwei Jahrzehnte, bis man dann wieder dahinter kommt, dass Schüler Aufgaben auch aufschreiben können, so wie in der guten alten Zeit. Früher. Hatte den Vorteil, dass Schüler behende, äh, behände, beim Schreiben waren. Weil sie es täglich, stündlich, ständig tun mussten. Nicht so wie heute, wo sie Probleme in der weiterführenden Schule haben, wenn sich auf einmal das Schreibpensum erhöht.
Ganz zu schweigen von der Rechtschreibung. Heute lernen wir »Lesen durch Schreiben«
. Schreib, wie du hörst. Schreib, wie du denkst.
Schreib, wie du willst. Dann fragt man mit 17 schon mal bei Stadt, Name, Land, ob »Veilchen«
mit »V«
oder
»F«
geschrieben wird. Ist ja der gleiche Laut. Im Abitur gibt es auf Rechtschreibung noch einen ganzen Punkt, statt einer Zensur
wie früher. Später schreiben wir ja eh' am PC und der hat ein Rechtschreibprogramm. Wozu also Regeln und Ausnahmen von der Regel lernen?
Oder schneiden. Lernte man früher im Kindergarten. Weil zu bestimmten Zeiten alle Kinder eine Schere in die Hand gedrückt bekamen. Das ist heute nicht mehr angesagt. Freiheit steht über allem. Das Kind ist so frei, sich seine Beschäftigung zu wählen. Wenn es nicht mag, malt es nicht, schneidet es nicht, knetet es nicht. Überhaupt tut es nichts für seine Feinmotorik. Wie auch. Mit 3, 4, 5 oder 6 Jahren weiß es nicht, wozu das gut sein soll. Das wissen nur die Erwachsenen. Auf alle Fälle die unterbezahlten Erzieher/-innen in der Kita. Wenn es Glück hat, hat das Kind eine Mutter, die das auch weiß. Und dazu auch noch die Zeit hat, sich mit dem Kind hinzusetzen und feinmotorische Basics einzuüben. Spielerisch. Freiheitlich.
Jedenfalls kommen die Kinder dann irgendwann in die Schule, wo es mit der Freiheit vorbei ist, denn dann gilt: Tu, was ich dir sage. Ich spreche natürlich nur von staatlichen Schulen. Es gibt freie Schulen, wo die Freiheit unvermindert anhält. Keinen Bock auf Mathe? Na, dann nicht. Aber das ist noch ein anderes Thema. Es wird viel geredet über Bildung. Und dass Bildung früh beginnen muss. Darum machen wir jetzt im Kindergarten schöne Experimente, um uns das Weltwissen anzueignen, dass wir im Alter von 7 Jahren dann haben. Wollen? Sollen? Dabei ist dafür später immer noch Zeit. Im Alter von 3 bis 6 ist es wichtig, die motorische Entwicklung zu fördern, sowohl die Grobmotorik als auch die Feinmotorik. Das wäre eine wirklich gute (Vor)bildung für die Schule. Hatten wir. Früher.
Die Wiederholung ist die Mutter der Weisheit. Auch so ein Spruch von früher, der heute keinen mehr interessiert. Jedenfalls nicht die beruflich für die Bildung Verantwortlichen. Ich meine jetzt nicht die Lehrer, die sind ja nur die ausführenden Organe, sondern die Entscheider, die die Weichen stellen. Aufgaben üben? In der Schule? Ist nicht vorgesehen. Dafür ist die Freizeit und sind die Eltern da. Denen das so aber nicht gesagt wird. Wenn sie hinter den schulischen Sachen her sind, kriegen sie es schon selber mit. Und wenn nicht, dann gibt es ja immer noch die Hauptschule.
Inzwischen kommt man dahinter, dass es gar nicht so verkehrt ist, wenn die Leistungsstarken und die Leistungsschwachen zusammen lernen. Aber bis sich das durchsetzt, werden die schon erwähnten ein bis zwei Jahrzehnte schon noch vergehen müssen, damit dann hoffentlich keiner mehr lebt, der sagen kann: Hatten wir früherschon. Und so erfinden wir dann das Rad wieder neu. Bloß nicht in den Ruch kommen, wir fänden etwa etwas Positives an dem Schulsystem dieses untergegangenen Staates mit den drei Buchstaben. Nein. Da reimportieren wir lieber aus Finnland, was die Finnen aus diesem unsäglichen Staat importiert haben. Da gab es jedenfalls tatsächlich Bildung für alle, unabhängig vom Geldbeutel der Eltern.
Nicht zu vergessen: Die heute auf die armen Kinderlein losgelassen werden, sind selbst Opfer dieses Verbildungssystems. Da kann es schon mal vorkommen, dass ein Student, der, um studieren zu können, das Abitur erwerben musste, auch in Mathe wohlgemerkt, in der Vorlesung seinen Nachbarn fragen muss, mit wie viel Nullen 100.000 geschrieben wird. Das ist die neue Qualität der Bildung. Ich nenne das eine Katastrophe. Zum Ausgleich gibt es viele Quizshows im Fernsehen, in denen man sein Wissen testen kann. Fakten, Fakten, Fakten. Details. Zusammenhänge? Ich weiß, es ist langweilig, aber wieder: Fehlanzeige. Zusammenhänge kann sich der mündige Schüler selbst herstellen. Der mit Büchern arbeiten muss, die von Leuten geschrieben wurden, die selbst Opfer usw. Gliederung? Struktur? Überblick und dann Details?
Nein, das war alles früher. Heute sind die Bücher vor allem eins - das, was sie früher zugegebenermaßen nicht waren: bunt...