Editorial
Liebe Leserinnen und Leser, eigentlich bin ich gar kein Typ, der sich übers Wetter auslässt - schon gar nicht an dieser Stelle. Denn erstens liegt es in der Natur der Sache, dass man durch zorniges Geschreibsel - und mag es noch so berechtigt sein - keine Änderung herbeiführt und zweitens könnte es sein, dass mein Editorial von heute der sprichwörtliche Schnee von gestern ist, wenn Sie die Zeitung in Händen halten.
Und noch etwas unterscheidet mich vom gemeinen Wetternörgler: Normalerweise kann ich jeder Witterung etwas Positives abgewinnen. Normalerweise. Das bedeutet für mich Schnee und Kälte zu Weihnachten. Wenn man es eh kuschelig mag. Wenn es zeitig dunkel wird, wenn man Räucherstäbchen und Kerzen anbrennt. Schnee von mir aus auch noch im Januar, wenn der Jahresendstress vorbei ist und mehr Zeit zum Rodeln, Schneemann bauen und für ausgedehnte Winterwanderungen bleibt. Schnee mit zwei zugedrückten Augen gerade noch so im Februar. Aber März?! Und das fast täglich?
Darüber hinaus auch noch in sibirischer Kälte im zweistelligen Minusbereich des Nachts?! Nein! Da streiken nicht nur das winterunbeständige Söhnchen und das wärmegierende Töchterchen. Da habe selbst ich keine Lust mehr, mich länger als nur eben gerade nötig, im Freien aufzuhalten.
Auch abseits meiner Familie weiß ich mich mit meiner Weigerung, den Winter auch nur einen Tag länger zu ertragen, in guter Gesellschaft: Kaum ein Gespräch in den letzten Tagen - beinah schon Wochen - das nicht zumindest mit einem Nebensatz die Wetterlage erwähnt. Und nicht nur einmal habe ich den doch recht zynischen Wunsch nach einer endlich eintretenden Klimaerwärmung vernommen.
Dabei ist doch gerade sie an unserem momentanen Zustand schuld, wie ich erst gestern im Interview mit einem Wetterexperten gehört habe. So hätten wir uns im Laufe der letzten Jahre derartig an höhere Temperaturen zu dieser kalendarischen Zeit gewöhnt, dass uns die diesjährige Kälte völlig abnorm vorkäme. Zwar hätte es - als das Klima noch nicht erwärmt war - auch nicht in jedem Frühjahr solche Spitzen gegeben, aber ab und zu sei das schon mal vorgekommen.
Die Sonne als nicht zu unterschätzender Faktor des menschlichen Wohlbehagens, hatte sich jedoch tatsächlich äußerst rar gemacht, denn dieser Winter gilt als der trübste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Um das mitzubekommen, bedurfte es zwar keiner wissenschaftlichen Studie, aber immerhin: Jedem, der anfällig für Herbst-, Winter- sowie (in diesem Jahr auch) Frühlingsanfangs-Blues ist und dies an seinen Mitmenschen auslässt, ist damit ganz offiziell Legitimation erteilt.
Seit einer Woche nun werden wir geradezu verwöhnt mit Sonnenstrahlen, so als ob das Wetter sich irgendwie entschuldigen und uns ganz allmählich mit den kalten Temperaturen und dem späten Schnee versöhnen möchte. Wenn es diese letzten Missstände auch noch beseitigt, bin ich gern geneigt, dieses Friedensangebot anzunehmen und wünsche Ihnen und mir einen wunderschönen Frühling - möge er nun beginnen.
Ihre Klaudia Naceur