Editorial
Vorweihnachtszeit
Liebe Leserinnen und Leser, alle Jahre wieder ... verzweifle ich Ende November an der Aufgabe, die letzten Worte des Jahres an Sie zu richten. Weihnachten drängt sich dabei natürlich auf. Man kann die einzelnen Aspekte des Festes drehen und wenden, wie man möchte: Es bleibt eben doch immer dasselbe Ereignis, mit denselben Traditionen und Begleiterscheinungen - nur meine innerliche Abwehrhaltung wächst stetig. Proportional übrigens zum jährlichen Wunsch, dem ganzen Trara einfach zu entfliehen.
Dieser Vorsatz klopft ganz zaghaft Anfang September an. Dann, wenn die Supermarkt-Regale mit saisonalen Süßigkeiten bestückt werden und jeder Einkauf zur Kraftprobe mit dem inneren Schweinehund ausartet. Anfangs halte ich noch tapfer durch, doch spätestens mit den ersten trüben Tagen obsiegt das lästige Tierchen, sitze ich auf der Couch, mampfe Dominosteine, Marzipankartöffelchen oder Zimtsterne und hege einen unbändigen Groll auf alle Konsumforscher, Werbestrategen und Süßwarenhersteller dieser Welt. Wie die es immer wieder schaffen, solche Gelüste in mir auszulösen. Dass ich solche kulinarischen Sünden den ganzen Sommer über erst mühsam weggeradelt habe, ist denen anscheinend schnurzegal. Ignorant!
Eindringlicher wird das vorweihnachtliche Unbehagen bei der verzweifelten Suche nach den jeweils passenden Geschenken. Es soll ja nicht Irgendwas sein - sondern etwas Besonderes. Das macht die Sache nicht eben einfacher. Nun besitze ich die Gabe, solche Angelegenheiten gut vor mir herschieben zu können. Das beruhigt zunächst kolossal, gipfelt aber spätestens eine Woche vor dem Tag der Tage in Bastelattacken und Einkaufsorgien - gereizte Stimmung inklusive.
Von vorweihnachtlicher Besinnlichkeit kann keine Rede mehr sein. Darüber tröstet mich gerade noch so die tägliche Neugier des Söhnchens hinweg, wenn er schlaftrunken zu seinem Adventskalender schlurft, um ein neues Türchen zu öffnen und anschließend abzuzählen, wie viele Tage nun noch übrig sind. Übrigens ist so ein Kalender eine unglaublich geeignete Weckmethode. Ich überlege ernsthaft, eine derartige Aufsteh-Motivation fürs gesamte Jahr zu erfinden. Aber das nur nebenbei.
Zurück zu Weihnachten und warum ich es eigentlich am liebsten abschaffen würde. Es ist eigentlich verrückt: Legt sich die Anspannung vorübergehend ein wenig, suche ich ohne jede Not die nächste Herausforderung und gehe auf den Weihnachtsmarkt. Zusammen mit gefühlten einer Million Anderer, mit zu tausenden angekarrten Touristen und Landeiern aus dem Leipziger Umland. Gemeinsam quetscht, zerrt und schiebt man sich im Sog durch die Gänge. Stehenbleiben darf man eigentlich nicht. Mir ist schleierhaft, wie die Händler auch nur einen Cent verdienen. Am Tag vielleicht, aber da fehlt die Stimmung.
Und so steigert sich das weihnachtliche Fernweh bis es am Heiligabend kulminiert. Wenn sich am 24. Dezember gegen 24 Uhr alle Kinder, Kegel, Opas, Omas, diverse Hunde und sonstige Familienmitglieder nach
der üblichen »Essen- und Geschenkeschlacht«
aus meiner Wohnung gewälzt haben. Während ich meine letzte Kraft einer heftigen Aufräumhysterie opfere, schwöre ich mir: »Im nächsten
Jahr bist du hier weg. Dann liegst du irgendwo im Süden und lässt dich mal nach Strich und Faden verwöhnen.«
Ein einziges Mal habe ich das tatsächlich getan: Weihnachten unter der Sonne Griechenlands. Kurzerhand habe ich vor zwölf Jahren mein Auto vollgepackt und bin losgedüst. Den 24. Dezember verbrachte ich mit dem Töchterchen in Delphi mit allem kulturellen Pipapo und bei akzeptablen Temperaturen. Abends packten wir ein kleines Paket aus, welches mir mein Papa vor der Abfahrt zugesteckt hatte. Es war voller Weihnachtsplätzchen und wir wollten nur noch heim...
Ihre Klaudia Naceur