Grün-As
Leipzig Grün-As Stadtteilmagazin

Das bleibt: Wir in Leipzig

Erinnerungen an einen medialen Aufbruch

Ich übernehme die Kultur, meinte Birgit. Und wir die Außenpolitik, waren sich Andreas und Nikos einig. Verona konnte sich nicht entscheiden. Dann übernimmst du die Beilagen und Sonderseiten, das ist Vielfalt pur, schlug Jürgen vor.

Ramona beherrschte perfekt das Zehn-Finger-System und managte das Sekretariat. Und Torsten war der Mann für den Computersatz. So oder ähnlich verliefen die Gründungsgespräche in der bunt zusammengewürfelten Redaktion der ersten deutsch-deutschen Zeitung »Wir in Leipzig« (WiL).

Es waren Frauen und Männer aus Ost und West, die aus eingefahrenen Gleisen ausstiegen, junge Leute mit viel Talent, Wissensdurst und großem Engagement, die ohne doppelten Boden oder Hängematte, eine neue Zeitung machen wollten. Trotz aller Unkenrufen, erhobenen Zeigefingern und Neunmalschlauen, die am Rande zuschauten und das Scheitern vorab predigten, passierte es: Am 26. Januar 1990 ging die »Wir in Leipzig« mit 250.000 Exemplaren und eigenem Vertrieb in Druck und flatterte dem verblüfften LVZ-Leser auf den Tisch.

Viele freiwillige Helfer trugen in den ersten Tagen kostenlose Probeexemplare in ihren Wohngebieten aus oder verteilten sie auf der Straße an interessierte Städter.

Und genau an diesem 26. Januar - nach 25 Jahren - trafen sich Redakteure, Fotografen, Anzeigenberater, ehemalige Volontäre und Mitarbeiter des Computersatzes im Süden Leipzigs wieder. Bei »Frau Krause«, einer Kneipe mit abgewetztem Charme, wie aus der Wendezeit wiedergeboren, die genau die Atmosphäre der Zeit jenseits von Sanierungen und gedämmten Fassaden widerspiegelt - so dass man an »Frau Krause« zunächst vorbeieilte, weil deren Tür scheinbar aus dem Rahmen fiel.

Immerhin 22 der ehemals rund 50 mannstarken »festen« Redaktionsmitarbeiter fanden sich ein, kamen aus Bonn, Taucha, Berlin, Borna, Duisburg, Wiederitzsch, Dresden und natürlich aus der Stadt Leipzig, wie Uwe Walther, der heute für das »Grün-As« verantwortlich zeichnet und Fotograf Andrè Kempner, der für die »Leipziger Volkszeitung« auf Bilderjagd unterwegs ist.

Im ersten Jahr der Wende gründeten sich in der DDR etwa 40 bis 50 neue Zeitungen. Häufig initiiert von Mitgliedern der Bürgerbewegung oder deren Umfeld, bildeten sie eine starke Gegenstimme zu den staatlichen Presseorganen und begleiteten den Übergang zu demokratischen Verhältnissen. Für eine solche Neugründung war damals noch eine staatliche Lizenz nötig, die aber nach dem Wegfall der Zensur in der DDR ohne große Schwierigkeiten erteilt wurde.

Die Zeitungen erschienen vor allem auf lokaler Ebene und hatten einen harten Kampf zu bestehen. Sie mussten sich gegen alte Lesegewohnheiten, vor allem im Abo-Bereich, behaupten. Nach der Zulassung westdeutscher Printmedien auf dem Gebiet der DDR mussten viele Titel wegen massiven Leserschwunds ihr Erscheinen einstellen.

Leipzig besaß im Sommer 1990 für kurze Zeit sieben lokal berichtende Zeitungen im Abonnement. Es verschwanden die »Mitteldeutschen Neuesten Nachrichten«, das »Sächsische Tageblatt«, die »Union«, die »Neue Presse«. Im Abo verblieb nur die »Leipziger Volkszeitung«. Die noch bestehenden Zeitungsgründungen gingen häufig Kooperationen mit kleinen und mittleren Verlagen aus der Bundesrepublik ein oder wurden übernommen.

Mit der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 begannen westdeutsche Medienunternehmen, eigene Publikationen für den ostdeutschen Markt herzustellen, darunter beispielsweise die Super-Zeitung. Den Endpunkt dieses einmaligen Zeitungsumbruchs in der Geschichte der DDR setzte der April 1991, als die Treuhandanstalt die ehemaligen SED-Bezirkszeitungen an westdeutsche Großverlage verkaufte.

Da die monopolistischen Strukturen bei der Privatisierung bestehen blieben, fehlte den deutlich kleineren Neugründungen in den meisten Fällen vor allem die wirtschaftliche Kraft auf dem regionalen Zeitungsmarkt Gewinne einzufahren. Im Oktober 1991 musste auch die erste deutsch-deutsche Zeitung »Wir in Leipzig« aufgeben. Was bleibt? Das Gefühl, das war die beste Zeit, Zeitung zu machen. Und der Stolz, dass wir dabei waren.

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