»Angefrühstückte«
halbe Sachen gehen mit mir nicht
Im Portrait: Evi Müller - das streitbarste und bekannteste Gesicht des KOMM e.V.
Wenn sie Studenten-, Schüler- oder andere Gruppen durch Grünau führt, dann zu Fuß: »Fußläufig bekommt man erst ein authentisches Gefühl für den Stadtteil.«
Und immer mal wieder bekommt
sie am Ende des Rundganges zu hören: »Hier kann man ja tatsächlich wohnen.«
- Ja, hoppla!
Die das zu Beginn des Gesprächs so leichthin zum Besten gibt, ist den Lesern des »Grün-As«
und den meisten Grünauern schon lange gut bekannt ? Dr. Evelin Müller. Eine, die seit über 30
Jahren hier lebt. Und nicht nur wohnt. Sie kann sich für ihren Stadtteil so herrlich aufregen, sich engagieren, andere motivieren, sie mitreißen und begeistern.
Wer Evelin Müller im Gespräch erlebt, wundert sich schnell, woher diese doch eher zierliche Person diese Energie nimmt. Ohne Punkt und Komma berichtet sie in der Gesprächsrunde des »Netzwerkes
älterer Frauen«
von ihren Anfängen als junge Mutti in Grünau, dem Notwendig-Werden des KOMM-Vereins, seinem Wachsen und dem von Kleintierschau und Hobby-Ausstellung, von Stadtteilzeitung,
Gartenstammtisch und Rodelbergpicknick ... Viele der begeistert zuhörenden Frauen sind inzwischen nicht mehr im Job.
Können sich aber noch gut erinnern, was es hieß, ein Kleinkind, den Haushalt, einen (hier: wissenschaftlichen) Job, engagierte Stadtteilarbeit und die Tageslogistik unter einen Hut zu bringen.
»Nach dem Studium in Halle und anschließender Promotion kam ich nach Leipzig an das Institut für Geographie und Geoökologie, und mittlerweile bin ich seit über 30 Jahren da tätig ...«
Inzwischen haben sich aber ihre beruflichen Forschungen zu Großwohnsiedlungen im östlichen Europa und ihr persönliches Zuhause Grünau derart verwoben, dass auch der täglich zweimal zu absolvierende
Arbeitsweg von rund einer Stunde sie nicht ermüden kann. Das geht fast punktgenau mit der S-Bahn. Innerhalb Grünaus allerdings bewegt sie sich nur zu Fuß oder mit ihrem geliebten Fahrrad. »Das hält
fit, jung und ich bin nah dran. Ich kann sofort anhalten, mir was ansehen, mit jemandem sprechen.«
Und sie will es immer ganz genau wissen. Kann die Dinge nicht auf sich beruhen lassen. Hinterfragt. Schiebt an. Macht Vorschläge. Als am 11. Januar vor 20 Jahren der KOMM-Verein gegründet wird, ist sie
vornedran. Aus dem »Stammtisch Grünau«
der VHS war die Idee erwachsen, kulturelle Angebote, Informationsfluss und Kommunikation in Grünau zu verbessern. Aber keiner der damals Verorteten
wollte das Abenteuer wagen, Träger einer Stadtteilzeitung zu werden. Also musste ein eigener neuer Verein her. Mit allem, was da so dranhing. Ziel, Zweck, Satzung, Mitgliedschaften, Beiträge, Pläne, Ideen und
deren Umsetzung.
»1995/96, als der Stadtteil sein Zwanzigjähriges beging, war plötzlich ein großer Schub an Engagement zu erleben. Man wollte endlich am Image arbeiten. Bürgermoderatoren wurden ausgebildet. Auf
der anderen Seite haben Planungsbüros Bürgergruppen im WK 5.1 und WK 4 initiiert, die mit den Anwohnern gemeinsam Projekte und Ideen entwickelt, beraten und umgesetzt haben. Aber projektbezogen, schnell
hochgelobt und wieder vergessen. Viele sind nach einem jeweiligen Projekt sehr ruhig geworden oder ganz abgetaucht.«
Für solche »angefrühstückten«
Sachen will und kann sie sich einfach nicht begeistern. Wie das gegenwärtige Gerede um die dicken Kinder in Grünau. - »Wollen erst mal sehen, was
sich da wirklich bewegt, ob den Ursachen dauerhaft und langfristig etwas entgegengesetzt wird.«
Und regt sich schon wieder ungeniert auf, dass natürlich wieder mal nur von Grünauer dicken Kinder die
Rede ist. »Man wird ja verrückt gemacht und muss sich ständig rechtfertigen.«
Solche kurzfristigen Schnellschüsse sind nicht im Sinne des KOMM-Vereins. »Was wir anschieben, hat
längerfristig Bestand. Ich weigere mich inzwischen, in allen möglichen 'bedeutungsvollen' Gremien zu sitzen. Unerhört wichtig. Viel Gelaber. Das frisst an meiner Lebenszeit.«
In der gegenwärtigen Debatte um das Weiterbestehen des KOMM-Hauses hat sie ohnehin genug Betätigungsfeld. »Klar wurde erst mal probiert, was geht und was nicht«
erinnert sie sich.
»Da war bei Tom Pauls der Saal knackvoll. Und wir haben auch schon zu dritt auf Besucher gewartet. Aber wenn die Menschen dann eine Sache angenommen haben, muss man dranbleiben.«
Und so gibt es nun schon viele Jahre Ostern eine Kleintierschau und im Herbst eine Hobbyausstellung. Die Bauchtänzerinnen, die Klöppelfrauen und die Aquarellmaler treffen sich regelmäßig. Ebenso die Seniorentänzerinnen und die Schachspieler. Neben den Kursangeboten der VHS und der privaten Vermietung der Räume im KOMM-Haus haben sich auch Beratungen im Stadtteil etabliert. Die Mobile Kleiderkammer, die Schuldnerberatung, Schlichtungsangebote und Gesundheitsberatungen.
Es sprudelt nur so aus ihr heraus bei der Aufzählung der soziokulturellen Angebote des Hauses. Hellwach. Blitz gescheit. Streitbar. Fest verankert in einem Netzwerk Gleichgesinnter. Inzwischen haben sich
nicht nur die Mitglieder des KOMM-Vereins und das »Grün-As«
für den Erhalt des KOMM-Hauses stark gemacht. Politiker aller Fraktionen unterstützen das Anliegen, ob CDU oder Linke. Die Medien
haben mehrfach das Problem aufgegriffen, die LVZ, Grünau-TV, die LiZ. Der mdr tue sich noch etwas schwer, bedauert sie.
»Immer gehe es um den Umgang mit den Menschen«
liegt ihr am Herzen. Und da kommt die empathische Evi Müller ans Licht: »Das Gemeinsame mit den Leuten macht mir Spaß. Das gibt
mir Kraft, mich auch noch ein siebtes Mal zu engagieren.«
Der KOMM-Verein war jahrelang fester Part im Grünauer Kultursommer. »Wenn jetzt aber alles innovativer - 'Grünauer-Like' - werden
soll, dann bleiben wir halt im Hintergrund mit unseren traditionellen Veranstaltungen.«
Zum Beispiel das Rodelbergpicknick, was ja so eine »schöne, dezente Veranstaltung«
ist -
wie die Grünauer Posaunenbläser so treffend formuliert haben.
Und wenn's mal ganz Dicke kommt, radelt sie eine Runde um ihren geliebten Kulki und kehrt auf dem Rückweg auf einen Schwatz bei Traudel ein. Die beiden Frauen verbindet eine langjährige Freundschaft. Die
gemeinsame Liebe zum Garten und das gemeinsame Zubereiten von Köstlichkeiten aus heimischen Kräutern und Früchten. »Riechen, schmecken, anfassen ...«
So sind auch die Gartenstammtische im
Frühjahr und Herbst zu festen Größen im Grünauer Volkhochschulprogramm geworden.
Wenn Evi Müller in ihrer Küche steht und es gibt selbst gemachtes Kräuterpesto oder Saft aus Pflaumen vom Rodelberg kann sie glatt mal einen Streit da draußen vergessen.
Silke Heinig