»Ich liebe Deutschland«
Portrait
Regelmäßige Besucher des KOMM-Hauses werden es schon einmal gehört haben: Die sanften Klavierklänge, die in letzter Zeit aus den Kellerräumen der Einrichtung ertönen. Klassik reiht sich nahtlos an Hits der Filmgeschichte und aktuelle Melodien – das Reportoire des Pianisten scheint unerschöpflich, genauso wie seine Geduld beim Üben. Die Freude am Spielen ist Sofian El Mrabet ins Gesicht geschrieben.
Mit geschlossenen Augen greift der 37-Jährige in die Tasten des alten, ungestimmten Instrumentes und ist glücklich. Schon lange hatte er keine Gelegenheit mehr, zu üben. Vor einem Jahr verließ er gemeinsam mit seiner Frau Amna und dem mittlerweile einjährigen Sohn Youssuf sein Heimatland Libyen. In Grünau haben sie vorerst ein neues Zuhause gefunden. Die Fluchtgeschichte der kleinen Familie aus Tripolis unterscheidet sich deutlich von denen der meisten, die in diesem Jahr zu Tausenden nach Deutschland kommen.
Die Gründe jedoch sind dieselben: Krieg, Terror, eine katastrophale Versorgungslage und die ständige Angst um das eigene Leben. Seit dem Sturz des libyschen Machthabers Gaddafis vor vier Jahren hat sich die Lage in dem nordafrikanischen Land zusehends verschlechtert. Mittleweile herrscht ein beispielloses Chaos – verschiedene Milizen, IS, Al Qaida – alle bekämpfen sich gegenseitig.
Menschen werden auf offener Straße gekidnappt und nur gegen die Zahlung hoher Lösegeldsummen wieder frei gelassen. Manchmal bleiben sie jedoch auch dann noch verschwunden oder werden gleich ermordet. Jeder
Weg könnte somit der letzte sein. Amna erinnert sich: »Wenn Sofian das Haus verließ, hab ich nur gebetet, dass er wieder zurückkommt. Ich hatte immer Angst um ihn.«
Die Arbeitsstätte des
studierten Computer-Ingenieurs war die Presseabteilung des Außenministeriums. Die 28-jährige Amna, die perfekt englisch spricht, ist BauIngenieurin.
Lange hat das junge Paar versucht, ein normales Leben inmitten des Verfalls zu führen – trotz der permanten Gefahren, trotz Raketentreffern in der Nachbarschaft, trotz häufig nötiger Wohnungswechsel.
Zumindest finanziell ging es ihnen bis zuletzt nicht schlecht: Beide stammen aus aufgeklärten Elternhäusern. Sofians Mutter ist Lehrerin, sein Vater, der ihm mit sieben Jahren das Klavierspielen beibrachte,
studierte einst in der Türkei Musik. »Er spielte sogar in einer Band zusammen mit ein paar Engländern«
, erzählt der sympathische junge Mann stolz. Das war noch vor Gaddafi. Lange her.
Jetzt sind die Eltern zu alt, um das Land zu verlassen. Zusammen mit seinen insgesamt sieben Geschwistern wollen sie in Libyen bleiben. Sofian versteht das, aber er ist in Sorge: »Nach dem Krieg
haben sich die Menschen verändert. Sie konnten nicht mehr umschalten. Jedes Problem wird nur noch mit Gewalt gelöst. Alle sind bewaffnet. Schwer bewaffnet.«
Die Angst um seine Familie ist bei
solchen Schilderungen beinah greifbar. Der regelmäßige Kontakt zu ihr hilft nur, sich vom Wohlergehen der Familie zu überzeugen. Täglich gibt es neue Horrormedlungen aus der Heimat.
Amnas Eltern scheinen hingegen in Sicherheit. Ihr Vater, ein Arzt, der zur Zeit Gaddafis ein Krankenhaus leitete und nach seinem Sturz stellvertretender Gesundsheitsminister war, hat diesen Posten vor zwei Jahren aufgegeben und ist nach Frankreich emigriert. Heute lebt er zusammen mit seiner Frau und Amnas beiden Geschwistern in Paris und arbeitet bei der libyschen Botschaft. Dort besuchen ihn seine Tochter zusammen mit ihrem Mann und dem damals noch sehr kleinen Youssuf Ende 2014. Einen Monat lang hatten sie zuvor in Tunesien auf ein Visum in den Schengenraum gewartet – im Chaos der libyschen Verwaltung sind keine Passangelegenheiten mehr zu regeln.
»Zunächst wollten wir nur meinem Vater seinen Enkel präsentieren und wieder nach Hause fliegen. Sofian ist sogar noch einmal nach T ripolis zurückgekehrt, weil er wieder arbeiten musste und ich
bin bei meiner Familie geblieben«
, erinnert sich Amna. Als Sofian wieder in Paris ist, eröffnet der Vater ihnen eine Geschichte, die eine Zukunft in der Heimat unmöglich macht: Er sei von einem
hohen libyschen Milizionär »um einen Gefallen gebeten worden«
und verweigerte sich. Seither wird er bedroht und fürchtet sowohl in Libyen als auch in Frankreich die Rache gegen sich und
seine Angehörigen. Zu gefährlich für Amna, Sofian und vor allem Youssuf, befindet der Vater und rät ihnen, nach Deutschland zu gehen. Dort, so sagt er, seien sie in Sicherheit und es gebe klare Gesetze.
Für Sofian eine gute Alternative: »Ich liebe Deutschland. Es ist sauber, ruhig, einfach schön«
, strahlt er. »Ich war schon viermal hier. Zuletzt in Düsseldorf zur Fußball-WM
2006«
. Seine Frau besuchte als kleines Mädchen einmal Frankfurt. In Leipzig waren sie jedoch beide zuvor noch nie. Ihre Wahl fällt auf die sächsische Stadt aus rein praktischen Gründen. Ein Onkel
Sofians lebt in der Nähe und bietet ihnen eine erste Anlaufstelle. Die kleine Familie kommt im März mit dem Flugzeug an und wohnt zunächst in einem Hotel an der Leipziger Messe.
Danach melden sie sich eigenständig in der Zentralen Aufnahmestelle (ZAST) in Chemnitz und bitten um Asyl. An die zwei Wochen im Camp erinnern sie sich nicht gern: »Wir hatten zwar einen eigenen
Wohnraum, aber die Sanitäranlagen und Gemeinschaftsküchen waren ein Desaster«
, berichtet Amna und ihr Mann erzählt vom übermäßigen Alkoholkonsum einiger Flüchtlinge in der Aufnahmeeinrichtung:
»Das hat sehr viele Probleme verursacht. Manchmal haben wir unser Zimmer gar nicht verlassen.«
Glücklich kehren sie nach relativ kurzer Zeit wieder nach Leipzig zurück.
Ihr neues Zuhause wird die Gemeinschaftsunterkunft in der Liliensteinstraße. Drei Monate lang leben sie dort bevor sie im Sommer eine eigene Wohnung in Grünau beziehen können. Im Haus sind nicht alle
glücklich über die neuen Nachbarn. Aber das sei »schon okay«
, wie Sofian findet. Auch die momentan sehr eingeschränkte und damit völlig ungewohnte finanzielle Situation bedrückt die beiden
nicht. Alles was für sie zählt, ist die Sicherheit ihres Kindes. Youssuf, der kleine Wonneproppen mit den lustigen Löckchen und den großen braunen Kulleraugen geht in die benachbarte Kita und fühlt sich
sichtlich wohl.
Happy End? Noch nicht ganz: Derzeit wartet die Familie auf den Bescheid der Asylbehörde und obwohl die Situation in Libyen alles andere als sicher ist, haben sie Angst, nicht bleiben zu dürfen. Dabei wünschen sie sich nichts sehnlicher als das. Ankommen möchten sie. Und arbeiten. Amna träumt davon, endlich als Bau-Ingenieurin tätig werden zu können. Gemeinsam mit ihrem Mann besucht die ehrgeizige und hochgebildete junge Frau einen Integrationskurs der Volkshochschule im KOMM-Haus und lernt intensiv deutsch. Bei einem dieser Kurs-Termine entdeckt Sofian das Klavier, setzt sich, und beginnt zu spielen.
Klaudia Naceur