Lieblingsfeind
Editorial
Liebe Leserinnen und Leser, in letzter Zeit hört man es immer öfter: Der Ton ist rauer geworden. Ob man es nun selbst ver- oder den Medien entnimmt. Letztere stellen die Verrohung der Sprache und gesellschaftlichen Normen vor allem in den politischen Kontext.
Ein äußerst rüde ausgefochtener Präsidentschaftswahlkampf in den USA, verbal entgleisende Politiker auch hierzulande, das Volk derweil überbietet sich mit Geschmacklosigkeiten und Hetze in den sozialen Netzwerken, auf Kundgebungen und Demos. Man könnte dies natürlich noch deutlich vertiefen, aber heute soll es mal nicht um Politik gehen.
Denn auch im ganz normalen Alltag hat sich der Ton deutlich verschärft. Da radle ich doch neulich die Alte Salzstraße entlang, als mir eine ältere Frau – ebenfalls auf dem Rad – entgegenkommt. Der Weg ist breit genug. Kein Problem. An der Seite steht ein Mädchen und weint. Ich drehe mich nach ihm um. In dem Moment schnauzt mich die Frau plötzlich an: »Gucke du gefälligst nach vorne! Blöde Kuh!«. Völlig perplex, wäre ich beinah gestürzt. Selbst das kleine Mädchen war nach dieser Verbalattacke so erschrocken, dass es glatt aufhörte zu weinen und mich stattdessen mitleidig ansah.
Okay: So etwas passiert mir zum Glück nicht jeden Tag und Ihnen hoffentlich auch nicht. Aber es ist schon auffällig, wie sich das gesellschaftliche Miteinander verändert hat. Sei es an Supermarktkassen, im Straßenverkehr, in Restaurants, Parkanlagen oder auf Spielplätzen: Es wird gemeckert, genörgelt und gepöbelt – schlimmstenfalls endet so etwas sogar handgreiflich.
Selbst ich ertappe mich dabei, dass mir in bestimmten Situationen Wörter über die Lippen kommen, die ich vor ein paar Jahren noch nicht einmal denken wollte. Mit meinem »Lieblingsfeind« am »Steingarten« vorm KOMM-Haus lieferte ich mir beispielsweise jahrelang Böse-Blicke-Kämpfe und herrliche Schimpfwort-Gefechte. Warum? Keine Ahnung! Beim Tanzfest in diesem Juni haben wir das Kriegsbeil jedenfalls begraben. An dieser Stelle sei ein Dank an Ulli gestattet. Gut, dass du auf mich zugekommen bist. Du hast mir meine Vorurteile (von denen ich natürlich dachte, ich hätte sie nicht) aufgezeigt und seitdem wir uns winken, statt zu verachten, geht es mir sehr viel besser.
So ein grundsätzlich bejahender Umgang mit anderen Menschen kann tatsächlich sehr befreiend sein. Ein Lächeln, eine aufgehaltene Tür, ein freundliches Wort ... erzeugen sogar bei den mürrischsten Zeitgenossen meistens eine positive Reaktion. Die beste Gelegenheit für eine derartige Charmeoffensive liegt nun vor uns allen: Die Adventszeit. Für viele zwar geprägt von Stress und Hektik, ist sie doch in erster Linie die Vorbereitung auf das Fest der Liebe, in der man ruhig mal einen Gang runter schalten, innehalten und einen Blick für seine Mitmenschen haben kann. Es soll und darf menscheln.
Ich wünsche Ihnen im Namen des gesamten »Grün-As«-Teams eine besinnliche Weihnachtszeit und einen guten Start ins kommende Jahr.
Ihre Klaudia Naceur