Editorial
Zuzug
Liebe Leserinnen und Leser, da fragte mich doch neulich ein Bekannter ehrlich interessiert, ob ich eine Eingeborene, also waschechte Leipzigerin bin. Als ich das nach kurzer Verwunderung mit dem Zusatz »seit Generationen« bejahte, war mir die Aufmerksamkeit aller Umstehenden sicher. Schnell wurde mir auch klar, warum: In der Runde war ich nämlich tatsächlich die einzige gebürtige Messestädterin. Eine Exotin quasi.
Nun ist es zwar kein Geheimnis, dass diese Stadt in den letzten Jahren einen immensen Zuzug zu verzeichnen hatte, aber in dieser Deutlichkeit ist mir das noch nie bewusst geworden. Leipzig ist beliebt. Zu Recht, wie ich finde. Doch der Charme könnte unserem kleinen Paris, unserem besseren Berlin, unserem Hypezig vielleicht schon bald abhanden kommen. 700.000 Einwohner (plus) heißt die Prognose bis zum Jahr 2030 – über 100.000 Menschen mehr als heute. Und selbst wenn zehntausend Leute weniger kommen, wird der Zuwachs spürbar sein.
Schon jetzt steigen die Mieten, fehlen Kitaplätze, platzen Schulen aus allen Nähten, kollabiert mancherorts der Verkehr, werden Viertel massiv verdichtet. Leipzig wächst. Manche bejubeln diese Entwicklung. Anderen wiederum bereitet es eher Bauchschmerzen. Ich zähle mich zu Letzteren. Einen nicht unerheblichen Anteil am Unwohlsein vieler Leipziger ob dieser Zustände, hat die kommunale Verwaltung. Für meinen Geschmack waren die Entscheidungsträger zu lange schier überrumpelt vom rasanten Wachstum dieser Stadt. Zugegeben: Gewisse Wanderungsbewegungen und Trends lassen sich manchmal schlecht vorhersehen. Aber Leipzig boomt jetzt seit mindestens vier Jahren. Dass das Rathaus erst vor eineinhalb Jahren damit begonnen hat, ein umfassendes Konzept zu erarbeiten, um den anstehenden Herausforderungen gerecht zu werden, könnte man als Spätzündung bezeichnen.
Aber besser spät als gar nicht. Ende August wurde das 300 Seiten umfassende Gesamtkunstwerk mit Namen INSEK (Integriertes Stadtentwicklungskonzept) endlich präsentiert. Ein Termin, den ich mir nicht entgehen lassen wollte – aus privatem wie beruflichem Interesse. Mit mir saßen etwa 250 Andere im dicht bestuhlten Festsaal. Dreieinhalb Stunden an einem strahlend-schönen Spätsommer-Spätnachmittag voller Statistiken, Zahlen, Prognosen, Fachterminologie, aber auch durchaus interessanter Einblicke in die Komplexität des Themas Stadtentwicklung. Nein, ich möchte kein Stadtplaner sein. Aber ich möchte das Angebot, an der Entwicklung meiner Heimatstadt mit Vorschlägen und Anregungen mitzuwirken, wahrnehmen. Und das sollten Sie, liebe Grünauer, auch.
Denn Zuzug in die Gesamtstadt hat natürlich auch massive Folgen für Grünau. Ein Viertel, das schon heute mit unterschiedlichen Problemlagen zu kämpfen hat. Nicht umsonst wurde in allen elf Fachkonzepten des INSEKs dieser Stadtteil als Schwerpunktgebiet gesondert betrachtet und aufgeführt. Bis Ende September haben Sie via Internet (www.leipzig.de/stadtentwick lungskonzept) die Möglichkeit, das Konzept einzusehen und Hinweise oder Anregungen zu formulieren. Eine Chance, die man sich nicht entgehen lassen sollte...
Ihre Klaudia Naceur