Endlich erschienen!
Wie ja vielen Lesern bekannt ist, gibt es eine soziologische Intervallstudie über Leipzig-
Grünau, die 1979 begonnen wurde. Die bisher letzte Befragung fand im Jahre 2000 statt. Die
wichtigsten Ergebnisse waren in Fortsetzungen auch im Grün-As zu lesen. Nun ist eine
zusammenfassende Publikation erschienen, in einem handlichen A5-Format, die neben den
unmittelbaren Forschungsergebnissen auch die schwierige »Geburt«
dieses Forschungsprojektes
beschreibt sowie die Bedeutung dieser Langzeitstudie, die in Deutschland einmalig ist,
hervorhebt.
Ein Kapitel wurde vom Leiter des Amtes für Stadterneuerung und Wohnungsbauförderung (ASW),
Karsten Gerkens, geschrieben. Hier sind nicht nur die umfangreichen Aufwertungsmaßnahmen in
Grünau dargestellt, sondern ebenso die Rahmenbedingungen und die Rollen einzelner Akteure. So
finden sich auch kritische Anmerkungen zum Beispiel zum Bürgerbeteiligungsverfahren im WK 7,
»weil die beteiligten Verwaltungsmitarbeiter nach diesem arbeitsintensiven Verfahren erst mal
durchatmeten und dann sicherheitshalber doch wie bisher arbeiteten. Der
Bürgerbeteiligungsansatz wurde in der Umsetzung nur halbherzig weitergeführt, der Zusammenhang
zwischen Beteiligung und Umsetzung war für die Bürger nach zwei Jahren Pause nur noch schwer
erkennbar«
(S. 31). Zum Stadtentwicklungsplan (STEP) heißt es auf Seite 36: »Der Bürger - auch
der betroffene Bürger - spielt in diesem Geschäft bisher bestenfalls eine Nebenrolle.«
Nicht
gerade optimistisch stimmt auch die bisher fehlende Definition der Aufwertungsbereiche in
Grünau seitens der Akteure, der Wohnungsunternehmen und der Stadt, denn »es gibt keine
politisch zweifelsfreie Positionierung der Stadt«
.
Viele Fakten in diesem Kapitel werden jedoch nur kurz angerissen, so dass manches für einen Außenstehenden unverständlich bleibt (wer weiß schon was mit einem Projekt 08/16 von Herrn Grönemeyer anzufangen). Vermisst wird eine kartographische Übersicht am Anfang des Buches über den Stadtteil Grünau, damit man die einzelnen Wohnkomplexe und die genannten Standorte einordnen kann (einen Überblick über die WKs findet man erst auf Seite 81).
Bei den 1979, 1981, 1983, 1987, 1992, 1995 und 2000 durchgeführten Befragungen durch Alice Kahl und ihr Forschungsteam ging es um Wohnerwartungen, Wohnformpräferenzen, Wohnzufriedenheit, Bindungsfaktoren, um das Image Grünaus, um das soziale Milieu sowie um Aktivitätspotenziale. Der besondere Wert der Grünau-Studie liegt darin, dass nach der Wende der gleiche soziale Prozess (Wohnen) am gleichen Ort mit gleichen Populationen unter veränderten gesellschaftlichen Bedingungen untersucht werden konnte.
Im Kapitel 5 werden die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen 1979 und 2000 dargestellt. Sehr aussagekräftig sind die Auszüge aus den Briefen Grünauer Bürger von 1981. Was die zukünftige Entwicklung des Stadtteils betrifft, so haben sich die Meinungen in den letzten 10 Jahren kaum verändert - rund ein Drittel der Befragten hat positive Erwartungen, wobei die Wohndauer eine große Rolle spielt.
Da die Ergebnisse der Intervallstudie den tatsächlichen Wandel der Auffassungen der Bewohner des Stadtteils zum Thema Wohnen zeigen, wird damit auch der Widerspruch zwischen Selbst- und Fremdbild des Plattenbaus deutlich, der ein generelles Problem darstellt, weil nach der Wende westliche Sichtweisen einfach auf ostdeutsche Großwohnsiedlungen übertragen wurden, ohne die soziale Zusammensetzung der Bewohnerschaft zu berücksichtigen.
Im umfangreichen Anhangteil (ab Seite 159) sind unter anderem die Aktivitäten des Amtes für
Stadterneuerung und Wohnungsbauförderung von 1992 bis 2001 aufgeführt, ist die Abschrift der
»Gesellschaftspolitischen Direktive für das Wohnungsbauvorhaben Leipzig-Grünau«
Rat der Stadt
Leipzig 1975 nachzulesen, und er enthält die vom Forum Grünau beschlossenen Leitlinien für die
zukunftsfähige Entwicklung des Stadtteils Grünau von 1999.
Besonders hervorhebenswert ist noch der Schlussabsatz von Karsten Gerkens, da diese
Intervallstudie wirklich einmalige vergleichende Forschungsergebnisse bietet und unbedingt
fortgeführt werden sollte: »Künftig muss gesichert werden, dass diese Intervallstudie bei
Beibehaltung der durch Alice Kahl geprägten Grundsätze durch neue Überlegungen zu Monitoring
und Marktberatung erweitert wird … Die Beibehaltung des 5-jährigen Intervalls der Studie
›Grünau‹ ist dabei sehr zu empfehlen«
(S. 39). Das ASW als Auftraggeber könnte dieses möglich
machen.
KOMM e.V.
ALICE KAHL (2003)
Erlebnis Plattenbau - eine Langzeitstudie
Stadtforschung aktuell,
Band 84
Verlag Leske + Budrich Opladen
ISBN 3-8100-3174-7
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