Grün-As

Liebe Leserinnen und Leser,

Klaudia Naceur ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber mich erinnern die Vorgänge in den Ämtern der Stadt Leipzig an die tragisch-komische Geschichte des Hauptmanns von Köpenick.

Ziehen wir den Vergleich: Vor etwa 100 Jahren geriet Wilhelm Voigt zwischen die Räder der Bürokratie. Nach seiner Entlassung aus dem Zuchthaus wollte er sich bei den zuständigen Behörden anmelden. Doch ohne Arbeitsnachweis, keine Anmeldung! Als er sich jedoch um Arbeit bemühte, bekam er gesagt: »Ohne Anmeldung, keine Arbeit!«… ein Teufelskreis!

Ähnlich dem, was momentan in Grünau geschieht - da werden Wohneinheiten radikal weggerissen. Die Grundversorgung der Bürger wird zerstört. Der Stadtteil verliert an Lebensqualität. Die Folge: Immer mehr Menschen ziehen freiwillig aus Grünau weg oder müssen ihre Wohngegend auf Grund des Stadtumbaus verlassen. Das wiederum verringert die Schülerzahlen drastisch. Nun gibt es aber die Vorgabe, dass zum Beispiel ein Gymnasium mindestens dreizügig - das heißt drei Klassen in einer Stufe - sein muss. Daraus schlussfolgert das Regionalschulamt nun, dass zwei Gymnasien in Grünau nicht zu besetzen seien. Demzufolge müsse eines der beiden geschlossen werden. Schwer ist es nicht, den Faden weiter zu spinnen: Was passiert, wenn von ehemals fünf Gymnasien jetzt das vorletzte und irgendwann vielleicht auch noch das letzte geschlossen wird? Richtig: Familien mit Kindern werden Grünau als Wohnort meiden, weil diese dort keine Bildungsperspektive sehen.

Von Schließungen sind aber nicht nur die Einrichtungen zur Erlangung der Hochschulreife betroffen, sondern auch Mittelschulen und Kindertagesstätten. Wenn die Schließungspläne Bestand haben, gibt es bald kaum noch Kinder in Leipzig-Grünau. Der Stadtteil stirbt aus oder weicht einer riesigen Grünfläche, wie das bei einzelnen Häusern schon der Fall ist. Wann kommen die Ämter - von denen man den Eindruck gewinnen möchte, dass die Rechte nicht weiß, was die Linke tut - zur Vernunft und durchbrechen diesen Teufelskreis?

Warum kann man nicht mit kleineren Klassen alle Einrichtungen erhalten? Das sollte sowieso wegen des schlechten Abschneidens Deutschlands in der PISA-Studie das Ziel der Bildungspolitik sein. Oder warten die Zuständigen etwa darauf, dass sich die verzweifelten Bürger allesamt in Hauptmanns-Kostüme kleiden und das Rathaus stürmen?
Klaudia Naceur

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