Grün-As

Little Boy

Ein strahlender Sommertag kündigt sich schon am frühen Morgen an. Die dreihunderttausend Einwohner des kleinen Städtchens fahren mit Straßenbahn und Bus zu Arbeit. Die Weiden rauschen in der sommerlichen Brise, das Thermometer zeigt fast 30 Grad. Für das Frühstück haben die Menschen Reis in Holzkohlepfannen zubereitet.

Die Soldaten der kaiserlichen Armee haben ihre Frühgymnastik am Ufer der Ota beendet. Am Himmel zieht einsam ein Flugzeug seine Bahn. Der stadtbekannte Radioansager Masanobu Furuta unterbricht die Morgensendung mit den Worten »Durchsage der Armee für den Bezirk Chugoku: Feindliches Flugzeug nähert sich...«. Ein gellendes Pfeifen ist zu hören. Die Sonne ist auf die Erde gefallen.

Die Uhren bleiben stehen. Ein Feuerball verbrennt alles. Menschen verdampfen oder verkohlen zu Asche. Übrig bleiben nur noch Schatten oder dampfende Häufchen. Nach der Hitzewelle kommt die Druckwelle. Häuser die noch nicht verbrannt sind, werden hinweggespült, Menschen zerissen, die Stadt Hiroshima existiert nicht mehr. Über den Resten steht eine Pilzwolke. Das Flugzeug, das die erste Atombombe - sie nennen sie »Little Boy« - auf eine bewohnte Stadt abwarf, ist bereits auf dem Rückweg. »Mein Gott, was haben wir getan?« schreibt jemand ins Logbuch.

Nach einer halben Stunde wütet ein Feuersturm durch die Ruinen, der später von einem schwarzen Regen gelöscht wird, der aus dem schwarzen Himmel fällt. Überlebende irren durch die Stadt. Schwarze Fetzen hängen von schwarzen Körpern. Menschliche Schemen in zerfetzten Kleidern, Gliedermaßen fehlen, Brandwunden mit ballgrossen Blasen und verstaubte Haare. Im Fluß treiben Leichen. Menschen die nach Hiroshima geeilt sind, wie der aus dem 6 Kilometer entfernten Hesaka gekommene Arzt Shuntaro Hida, versuchen den Überlebenden zu helfen. Ein Lokalsender in der Nähe von Hiroshima meldet: »Hiroshima ist völlig zerstört. Opfer schätzungsweise 170000.«

Die durch die Atombombe freigesetzte Strahlung tötete auch noch Jahrzehnte nach dem Bombenabwurf noch zehntausende Menschen und zahlreiche Kinder wurden mit Mißbildungen geboren. Völlige Erschöpfung, Schwindel und Appetitlosigkeit sind die ersten Anzeichen der Strahlenkrankheit - später folgen blutiger Durchfall, Blutungen und Krebsgeschwüre. Heute leben noch 340000 Überlebende der beiden Atombombenabwürfe. Die Japaner nennen sie Hibakusha (explosionsgeschädigte Personen). Bis heute sterben jährlich 2500 Menschen an den Folgen der Strahlenkrankheit.

Auch die 1945 erst zweieinhalbjährige Sadako Sasaki erfährt erst Jahre später, dass sie an Leukämie, ausgelöst durch die Atombombe, erkrankt ist. Eine Freundinn erzählt ihr, dass sie einen Wunsch frei hätte, wenn sie 1000 Origami-Kraniche falten würde. Als sich ihr Wunsch auch nach 1000 Kranichen nicht erfüllt, beginnt sie erneut 1000 immer kleinere Kraniche zu falten. Nach 644 weiteren Kranichen verliert sie den Kampf gegen den Blutkrebs. Sie stirbt am 25. Oktober 1955.

Erschütternde Aufnahmen, die die grauenhafte und leidvolle Folgen für Menschen und Umwelt zeigen, sind ab 5. August in der Oberen Wandelhalle des Neuen Rathaus zu sehen: »Wege in eine Welt ohne Atomwaffen - 60. Jahrestag des Atombombenabwurfs auf Hiroshima und Nagasaki«. Die Bildtafeln der Ausstellung sind ein Geschenk der Stadt Hiroshima.

Zwei Leipzigerinnen Mareike Philipp (20 Jahre, Studentin, HTWK) und Jana Müller (19 Jahre, »Freiwilliges Jahr«, Quartiersmanagement) werden am 5. August zur Aufführung von Bachs Matthäuspassion in Hiroshima sein. Das Konzert findet anlässlich der 6. Weltkonferenz der »Mayors for peace« statt. Die beiden Delegierten werden zu Abschluss der Leipziger Ausstellung (19. August, 11.00 Uhr) von ihren Eindrücken aus Hiroshima berichten.

Lutz Rodenhauser
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