Swingtime in Deutschland (1935 - 1941)
Eine willkommene Bereicherung meines Schall-Archivs der Swingmusik, waren zwei
CDs mit Swingtiteln der 30er und 40er Jahre, die mir kürzlich Freunde schenkten.
Beim Klang der lässig beschwingten Musik, die den Namen »Swing«
prägte, wurden
Jugenderinnerungen an eine schöne und zugleich schlimme Zeit lebendig.
Beispielsweise an die forcierte Militarisierung des gesellschaftlichen Lebens -
unseres Alltags. An die militärische Disziplin an allen Schulen und Lehrbetrieben, an
»Betriebsführer und Gefolgschaft«
, an solche Losungen wie: »Du bist nichts - dein
Volk ist alles!«
Diese einengende Lebensatmosphäre der Entindividualisierung, führte zum mentalen
Widerstand bei einem Teil der Großstadtjugend, zu der ich gehörte. Unsere
Opposition fand ihren Ausdruck in einer sich entwickelnden swingorientierten
Jugendkultur, die mit der Swingmusik aus Amerika und England kam. Die
Schellackplatten und das Koffergrammophon, sowie die Radiosender Hilversum und
Lexemburg, transportierten den musikalischen »Stoff«
, aus dem unsere Träume
waren. Für uns war die harmonisch-klangschöne Swingmusik, mit ihrem
faszinierenden Rhythmus, wie eine Botschaft für das Anderssein.
Wir hatten anders, zivile lustvollere Ideale und uns begeisterte alles was englisch
war. Die Demokratie als Staatsform und die Weltoffenheit. Die Sprache und der
englische Lebensstil das »gentlemenlike«
bis zum Outfit, was wir sofern finanziell
möglich, demonstrativ zur Schau trugen. Es war eine lustvolle, aber nicht
ungefährliche Auflehnung gegen die Diktatur der Staatsmacht.
Mit den Schallplatten der Orchester Jimmy Dorsay, Duke Ellington, Count Basie,
Louis Armstrong und den Andrew-Sisters, um eine zu nennen, erlebten wir ein
Stück der uns verweigerten modernen freien Welt. In uns erwachte die Sehnsucht
dort zu sein, wo diese Musik zu Hause war. Zur Swingkultur der Jugendlichen
gehörte außer der Musik auch die »getanzte Freiheit«
sowie die Swingmoden, vor
allem aber die distanzierte Verhaltensweise zur Hitlerjugend.
Wer die Swingtime mit solchen Orchestern wie Teddy Stauffer, Arne Hülphers, John Kristel, Kurt Hohenberg oder B. Ette, in den Swinghochburgen Hamburg und Berlin einmal live erleben konnte, gehörte zu den Glücklichen. Diese emotionalisierende Swingmusik vermittelte uns beschwingte Lebensfreude und vertrieb zeitweilig trübe Vorahnungen.
Die so provozierten Hitlerleute reagierten mit Diffamierungen, Razzien,
Schulverweisen und Arrest - auch mit Einzelverhaftungen, oft mit dem
Einberufungsbefehl!
Die Swingmusik blieb unbesiegt, sie hat noch immer ihre Freunde und ein Revival,
auch mit kleineren Formationen, kündigt sich zur Freude vieler Bürger an.
J. Kasten