Grün-As

»Das Schlimmste ist die Erniedrigung«

Ein-Euro-Jobber unterwegs in Grünau

Sie sind die jüngsten Auswüchse unseres kranken Sozialstaates: Die so genannten Ein-Euro- Jobber. Langzeitarbeitlose, die Arbeitslosengeld II beziehen, sollen durch gemeinnützige Tätigkeiten wieder unter Leute kommen und sich ein paar Cent dazu verdienen können. Sie dürfen allerdings nicht nur, sondern sie müssen regelrecht. So drohen bei Ablehnung eines Angebotes durch die ARGE Leistungskürzungen. Sprich: Die Menschen, die ohnehin am Rande der Existenz leben, müssten weitere Einschnitte hinnehmen.

Bild Satire auf eine 30-Millionen-Euro-Kampagne.

»Zumutbar sind alle angebotenen Jobs. Bei manchen müssen wir eben diesen Druck ausüben« erklärt Ines Dreilich, Pressesprecherin der ARGE auf Anfrage. Von 40 000 Alg II-Empfängern in Leipzig haben etwa 3000 so einen, auf sechs bis neun Monate beschränkten, Ein-Euro-Job. Dieser soll allerdings weder mit existierenden versicherungspflichtigen Stellen konkurrieren, noch Unternehmen bereichern. Zudem sollen die Chancen der Arbeitslosen auf eine Anstellung auf dem ersten Arbeitsmarkt steigen…

So weit die Theorie. Die Praxis hingegen sieht vielerorts ganz anders aus. Denn obwohl die ARGE nach eigenen Angaben die von ihr geförderten Träger, die solche Jobs anbieten, »auf Herz und Nieren« prüft, verrichten Arbeitslose auch in Grünau Arbeiten, mit denen früher reguläre Firmen beauftragt waren. So bepflanzt eine Gruppe Ein-Euro- Jobber der Caritas die Rasenfläche Brackestraße, Ecke Alte Salzstraße - ein Auftrag, über den sich eine kleine Landschaftsgärtnerei sicher auch gefreut hätte. Für die anstrengende Arbeit, die nun für einen Euro pro Stunde geleistet wird, gilt ein regulärer Stundenlohn, der sechs- bis siebenmal so hoch ist. Da sagt noch mal einer, billige Arbeitskräfte aus dem Osten würden den hiesigen Arbeitsmarkt zerstören…

Dies ist jedoch nicht das einzige Problem, denn hinzu kommt, dass einige der Träger oft sinnlos viele Leute beschäftigt, die stellenweise sinnlose, oder aber körperlich sehr schwere Arbeiten unter oftmals entwürdigenden Bedingungen verrichten müssen. In Zehner- beziehungsweise Fünfer-Gruppen ziehen sie durch die Straßen Grünaus, durch Parkanlagen und am Kulkwitzer See entlang, sammeln Papier auf, pflegen Grünanlagen, schwitzen, frieren, werden von Vorbeilaufenden bemitleidet, belächelt oder gar beleidigt.

»Das Schlimmste ist die Erniedrigung«, erzählt Kerstin M.*. Wirtschaftskauffrau sei sie und seit fünf Jahren arbeitslos. »Als mir der Ein-Euro-Job in einem sozial-psychologischen Verein, der sächsischen Lehmbaugruppe, angeboten wurde, habe ich mich sogar darauf gefreut. Ich habe angenommen, dass ich vielleicht in einem Seniorenheim arbeiten soll«, so Kerstin M. Doch statt alte Menschen zu betreuen, kam sie in den Stadtteil, um Papier aufzusammeln. Im wöchentlichen Wechsel läuft die Gruppe bis zu sieben Kilometer am Tag bei Wind und Wetter durch Lausen und am Allee-Center entlang. »Es kommt vor«, sagt Kerstin M., »dass uns die Trinker an den Kaufhallen mit der Schnapsflasche in der Hand zeigen, was wir noch alles aufheben müssen. Das ist beschämend.«

Von Reudnitz macht sich Kerstin M. jeden Morgen auf den Weg ans andere Ende der Stadt. »Das hat zwar den Vorteil, dass ich nicht vor meinen Nachbarn die Straßen säubern muss, aber die lange Fahrt zum Arbeitsplatz kostet natürlich auch Geld. Ich habe mich einmal hingesetzt und ausgerechnet, dass von den 100 Euro, die ich monatlich dazu verdiene, nichts übrig bleibt. Denn abgesehen von Fahrtkosten, habe ich auch Aufwendungen für Arbeitskleidung und Verpflegung. Die Rechnung geht einfach nicht auf«, erzählt sie und fügt hinzu: »Mit einer Tochter kann ich es mir nicht erlauben unter den Alg II-Satz von 331 Euro zu kommen. Wir müssen ja irgendwie leben«

Mit ihrer Meinung steht sie nicht allein da. So frustriert und gedemütigt sich einige auch fühlen, reißen sie sich doch zusammen und machen wenigstens halbwegs gute Miene zu bösem Spiel. »Der Staat maßt sich an, erwachsene Menschen erziehen zu wollen. Die meisten Arbeitslosen sind nicht zu faul zum Arbeiten, sondern ihnen fehlen Perspektiven«, meint Heiko W.*. Seit zwei Jahren arbeitslos, wurde der Web-Designer, ebenso wie eine Lehrerin für Mathematik und Physik zum »Straßenkehrer« degradiert. »Ich sehe einfach keinen Sinn in dieser Aufgabe. Vor allem verstehe ich nicht, wie Papier auflesen, meine Chancen auf dem Arbeitsmarkt steigern kann«, meint der junge Connewitzer.

Wie er, wissen wahrscheinlich die Wenigsten, dass die Beschäftigungsgesellschaften und Vereine so genannte Qualifizierungsmaßnahmen anbieten müssen. Denn die ARGE würde, laut eigenen Aussagen, keinen Träger fördern, in dessen Konzept keine Weiterbildungsmaßnahmen vorgehen sind, und sei es nur der Kurs »Wie bewerbe ich mich richtig«…. Fraglich bleibt, ob diese Art von Maßregelung Menschen wirklich motivieren kann, oder ob sie nicht viel eher das Gegenteil bewirkt.
Klaudia Naceur
* Namen von der Redaktion geändert

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