...da ist Wundern noch erlaubt
Liebe Leserinnen und Leser,
ich weiß ja nicht wie es Ihnen geht. Aber ich kann mich nur noch wundern.
Worüber? Natürlich über die Leute, die sich immer noch wundern. Denn mich
wundert hier in diesem Lande längst überhaupt nichts mehr. Ja, früher da
war ich manchmal noch erstaunt und konnte es kaum glauben, dass Politiker -
Demokraten - lügen. Sie lügen ja auch eigentlich nicht wirklich. Sie
übertreiben vielleicht hier und da ein wenig. Sie über- oder unterschätzen
gewisse Haushaltssituationen - zumindest sagen sie es immer so, wenn sie
wieder ein großes Loch im Etat »gefunden«
haben.
Sparen. So hieß im Januar 2005 die Devise des Staates. Und er begann damit.
Sicher haben vorher die Köpfe unserer Politiker ganz schön geraucht. Ich
stelle mir gerade ihre Gesichter vor: »Wem in diesem Lande können wir noch
etwas wegnehmen? Den Managern? Um Gottes Willen, die haben viel zu viel
Macht. Den Unternehmern vielleicht? Geht auch nicht. Die gehen ja sonst ins
Ausland und wir verlieren auch noch die letzten Cents ihrer günstigen
Steuer und noch Arbeitslose lungern uns auf der Straße rum«
... ein
Dilemma. Insgeheim hatte jeder der klugen Spar-Diskussionsrunde schon
längst im Hinterkopf, wen man schröpfen könnte - Die Arbeitslosen, die
Geringverdiener. Geniale Idee. Die haben nicht einmal mehr Selbstvertrauen,
von Macht ganz zu schweigen. Und ins Ausland? Lass mich kichern. Dafür
reicht ihr bisschen Geld eh’ nicht.
Gesagt getan, Hartz IV, oder Alg II trat ab Januar in Kraft. Proteste von tausenden Menschen in der GESAMTEN Bundesrepublik, saß man locker aus. Die können uns nichts. Die können ja nicht einmal streiken, die haben ja keine Arbeit. (Glück für die deutschen Politiker: die jüngsten französischen Krawalle kamen elf Monate später, sonst hätten sie wohlmöglich auf Deutschland abgefärbt.) Da hat man die Arbeitslosen von Pontius zu Pilatus geschickt. Da hat man Menschen, die ohnehin kaum einen Euro zu viel haben, wochenlang auf ihr Geld warten lassen, weil es Strukturprobleme in den Arbeitsagenturen und ARGEn gab. Da gab es Fernsehberichte, da hätten sich die Herren aus dem Bundestag anschauen können, wie beispielsweise eine Grünauerin mit zwei Söhnen über die Runden kam, beziehungsweise eben nicht. Die junge Frau lief bis zum Arbeitsamt nach Gohlis, weil sie sich ein Ticket für Bus und Bahn nicht leisten konnte. Aber Politiker haben weder Ahnung, wie viele Kilometer die Frau laufen musste, noch haben sie überhaupt Zeit zum Fernsehen ... leider.
Okay, die Demonstrationen ließen irgendwann einmal nach. Die Leute merkten,
dass ihr stiller Protest westdeutsche Politiker nicht beeindruckt, während
er der Altherrenriege einst die Schweißperlen auf die Stirn trieb. »Nein,
von ein paar Schmarotzern und Faulenzern, lassen wir uns doch nicht in die
Hummersuppe spucken. Die sollen erst einmal arbeiten und der Gesellschaft
dienen.«
Und das tun sie. Sie sammeln Papier auf - für einen Euro pro
Stunde. Sie senken ihre Köpfe, sind demütig und dankbar, dass ihnen die
einmalige Chance gewährt wird, für sechs Monate arbeiten zu gehen.
Alles hätte so schön sein können, wenn der Kanzler nicht hingeworfen hätte und neu gewählt worden wäre. Da mussten sie plötzlich wieder Versprechungen machen und zwar so glaubhaft, dass sie auch ja gewählt werden. Von einer Ost-West-Angleichung der Alg II-Bezüge war die Rede. Peinlich, dass es so etwas überhaupt noch gibt und dass darüber geredet werden muss...
Der Wahltag kam, was folgte und immer noch folgt, bekommen wir demnächst zu spüren. Was mit als Erstes beschlossen wurde ist klar: Die Ost-West-Angleichung. Nach langer Diskussion sogar nach oben. Aber um den Schmarotzern, Arbeitsscheuen und Faulenzern - den Parasiten der Nation trotzdem so richtig einen vor den Latz zu geben, erhöhen wir schnell noch die Mehrwertsteuer. Denen ging es doch viel zu gut. So gut, dass sie nicht einmal den ganzen Tag vor dem Telefon hocken und darauf warten, dass sie im Falle einer Überprüfung gefälligst zu vermelden haben: Arbeitsloser, Nummer XY, meldet, dass er wieder 24 Stunden vor dem Fernseher gehockt hat.
Am kürzlich entdeckten Milliardenloch im Staatssäckel (huch, woher kommt
denn dass, so mir nichts, dir nichts) können CDU und SPD auch einfach die
reichen Alg II-Empfänger verantwortlich machen. Politiker haben das Heer
der Arbeitslosen nämlich nicht unterschätzt, vielmehr nutzen diese die
Gnädigkeit des Staates schamlos aus. Nur so kann man erklären, dass sich
die Arbeitsmarktreform teurer als erwartet anließ. Politiker irren sich
nämlich nie und sie wundern sich auch nicht.
Ich wünsche allen Lesern eine wundervolle Weihnacht - denn da ist Wundern
noch erlaubt.
Ihre Klaudia Naceur