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Grünau Poker - aber bitte mit offenen Karten

»Die Mitte muss gestärkt und an den Rändern soll weggenommen werden«, meinte ASW-Amtsleiter Karsten Gerkens so schön unpassend zur offiziellen Grünau-Geburtstagsfeier. Sprach’s und erntete damals im Juni 2006 ratlose Gesichter. Mittlerweile dürfte angesichts neuerlicher Abrissabsichten klar sein, was gemeint war. Peu à peu sollen die »unrentablen Mietobjekte« samt ihrer finanzschwachen Bewohner in den Wohnkomplexen 7 und 8 verschwinden. Glaubt man der Gerüchteküche, könnten dann auf der entstandenen wunderschön gelegenen, wunderschön großen Freifläche wunderschöne Eigenheimsiedlungen entstehen...
Bloße Vermutungen? Gestreute Gerüchte? Oder einfach nur zu viel Fantasie?

Derzeit weiß keiner so recht, was bereits hinter verschlossenen Türen festgelegt zu sein scheint. Der Stadtentwicklungsplan (STEP), der einst entwickelt wurde, um den Grünauern eine Perspektive zu geben, scheint genau betrachtet von Beginn an, nur Makulatur gewesen zu sein. Oft genug hat man sich darüber hinweggesetzt und nur wenig wurde wie vorgesehen umgesetzt. So wurde beispielsweise auch die Empfehlung, dass das Stadtteilzentrum Brackestraße mit funktionierender Ladenzeile unbedingt zu erhalten sei, einfach ignoriert.

Schmucke Details und innovative Gestaltungen wie sie im STEP sehr wohl enthalten waren und in Plattenbauvierteln anderer Kommunen realisiert wurden, wollte oder konnte hierzulande letztlich kaum jemand bezahlen. Andererseits wurden aber Fördergelder ohne erkennbare Konzeption scheinbar sinnlos verschleudert. So geschehen beim umfangreich und teuer sanierten Jupiterzentrum im WK 7. Nach Neugestaltung des gesamten Platzes verweigerte man der WOGETRA Gelder zur Sanierung der dort befindlichen Gebäude, so dass diese letztlich abgebrochen werden mussten und der Gesamteindruck des Jupiterzentrums seither stark beeinträchtigt ist.

Zurück zum WK 8: Nimmt man sich nun einmal diesen STEP aus dem Jahre 2000 hervor, betrachtet die Situation des WK 8 eingehender und fokussiert den zur Debatte stehenden Block der Baugenossenschaft, so stellt man fest, dass dieser zwar eindeutig als Umstrukturierungsbereich mit hohem Handlungsbedarf gekennzeichnet ist. Gleichzeitig kann man aber auch herauslesen, dass bereits vor sechs Jahren, als der Leerstand in diesen Häusern weit unter 20 Prozent lag, hoher Sanierungsbedarf bestand. Getan wurde nichts. Außerdem geht aus der Grafik hervor, dass auf diese Gebäude keine der negativen Kriterien, wie zu enge Gebäudestellung, schlechte Erreichbarkeit des Öffentlichen Personennahverkehrs, Störungen durch Lärmemission oder gar Mängel im äußeren Gebietsumfeld zutrafen.

Im Gegenteil: Der Block zur Krakauer Straße hin wurde sogar als städtebauliche Dominante eingestuft sowie der Innenhof der Wohnscheibe als qualitätvolles, prägendes Raumstrukturelement gekennzeichnet. Das großzügig eingezeichnete so genannte Freiflächenpotenzial entlang der Alten Salzstraße sparte das Häuserkarree aus und suggerierte durch die angedachte Grünflächenausweitung eine Wohnumfeldverbesserung für selbiges. Aber was, bitteschön, nutzen solch aufwendig erstellte und einst großzügig finanzierte Konzeptionen und Maßnahmenkataloge, wenn sich letztlich keiner daran hält?

Kritikern des Stadtumbauprogramms zufolge ist das, was in den letzten Jahren in Leipzig - speziell aber in Grünau - geschah, ein abgekartetes Spiel, welches darauf hinauslaufen soll, das Stadtviertel mit gezielten Maßnahmen derartig zu schwächen, dass es sich von ganz allein eliminiert - Denn Plattenbau ist und bleibt in den Augen einiger kommunaler Entscheidungsträger Sozialbau, im Sozialbau tummeln sich Problemmieter und wo Problemmieter sind, kann man sich doch als normaler Bürger unmöglich wohl fühlen. Eine Vorstellung, die laut letzter Intervallstudie in Grünau völlig absurd ist.

In den Komplexen 5.1, 7 und 8 - dem so genannten Stadtumbaugürtel - könnte eine solche Entwicklung jedoch tatsächlich stattfinden. Und sie wäre hausgemacht. Auch dazu ein kleines Beispiel städtischer Vorgehensweise: Das neue Quartiersmanagement wird sich im Wohngebietszentrum, nicht aber im Stadtumbaugürtel engagieren. Allerdings wäre es genau dort von Nöten.

Suspekt ist aber nicht nur die mögliche Interessenverfolgung der Stadt, sondern auch die Rolle der Finanziers des Stadtumbaus. Wenige Wohnungseigentümer verfügen über genügend Kapital, umfangreiche Sanierungsarbeiten an ihren Häusern durchzuführen. Dazu bedarf es Kredite - beispielsweise von der Sächsischen Aufbaubank, die für Plattenbauten schon lange keine Gelder mehr anfasst oder Fördermittel - beispielsweise vom Land Sachsen. Dass der Freistaat zumindest an den Rändern Grünaus lediglich Abrissvorhaben unterstützt und keine Modernisierungen, steht zwar nirgendwo offiziell auf der Agenda. Dem Eindruck kann man sich aber nicht ganz erwehren. Wer bleiben und seine Bestände verschönern möchte, ist demnach auf eigene Finanzierungsvarianten angewiesen.

Die WG Lipsia beispielsweise setzt auf eine Spareinlage ihrer Genossenschaftsmitglieder und kann damit sukzessive einige ihrer Bestände hochwertig modernisieren. Ergebnis: kein Leerstand. Auch die WBG Kontakt denkt nach Aussagen ihres Vorsitzenden Rainer Löhnert nicht daran, ihre Häuser im Stadtumbaugürtel aufzugeben. Schließlich, so Löhnert, könne ja nicht ganz Leipzig im Waldstraßenviertel untergebracht werden. Am Schwalbennest im WK 5.1 saniert das Unternehmen darum bereits. Im kommenden Jahr soll die Wohnscheibe Binzer / Selliner Straße ebenfalls komplett erneuert werden - inklusive Fahrstuhlanbau.

Auch hier ist im Anschluss wohl kaum mit leeren Wohnungen zu rechnen. Das Thema Stadtumbau wird Grünau und seine Bewohner noch eine ganze Weile begleiten. Dabei dürfte sich für jeden dessen Notwendigkeit erschließen. Die Akzeptanz der Grünauer für etwaige Abrissvorhaben, die an einigen Stellen sicherlich unumgänglich sind, könnten sich die Verantwortlichen sichern, in dem sie endlich nicht mehr im stillen Kämmerlein darüber befinden, sondern mit offenen Karten spielen.
Klaudia Naceur

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