Editorial
Liebe Leserinnen und Leser,
sie war und ist für ehemalige DDR-Bürger der Inbegriff
sozialistischen Zusammenlebens: die Hausgemeinschaft - im Kürzungswahn der östlichen Republik gern auch
als HG bezeichnet. Selbst schärfste Systemkritiker kommen nicht umhin, die positiven Nebenwirkungen
eines solchen Miteinanders anzuerkennen. Mir persönlich waren lediglich 15 Jahre in einer solchen
Gemeinschaft vergönnt. Und als Kind genoss ich eher die Vorzüge. Musste ich doch nicht zu Versammlungen
laufen, sondern konnte mein Taschengeld ein wenig aufbessern, in dem ich mich samstags mit einer Hacke
und manchmal einem Rasenmäher »bewaffnet«
um die Grünfläche vor dem Haus kümmerte.
Am Ende des Jahres bekam ich 10 Mark und war's zufrieden.
Bei unseren westdeutschen Landsleuten rufen ja solch kollektive Aufräum-, Säuberungs- oder
Verschönerungsarbeiten sowie das Streben nach der Auszeichnung mit der »Goldenen
Hausnummer«
allenfalls befremdetes Kopfschütteln hervor. Kommt die Sprache jedoch auf
gemeinsame Ausflüge, Straßen- und Kinderfeste oder gemütliche Dia-Abende im Gemeinschaftskeller wird
aus der leicht spöttischen Mine ein ungläubiges, aber interessiertes Staunen. Das haben sie so
höchstens noch in den ersten Jahren nach dem Krieg erlebt. Den Jüngeren unter ihnen geht diese
Erfahrung also gänzlich ab. »Den Armen«
, möchte man fast sagen.
Zugegeben: Auch hierzulande war nicht jeder von verordneter Kollegialität und belehrenden Aushängen
an der Haustafel begeistert, aber für real existierende Großstadtsiedler war das Leben in der HG so
selbstverständlich wie das Anstellen nach Luxusartikeln. Die meisten hatten sich arrangiert und denken
heute oft wehmütig an das einstige Miteinander. Denn nach dem Scheitern des Gesellschaftssystems DDR
lösten sich in den meisten Fällen auch geknüpfte Mieterbande, Wohnungstüren bleiben seither
geschlossen, Hausbewohner ringen sich gerade noch ein »Guten Tag«
und »Auf
Wiedersehen«
ab - manche nicht einmal mehr das.
Grund genug, um in den nächsten Monaten im »Grün-As«
an den einst ganz normalen
Alltag einer Hausgemeinschaft zu erinnern. Mit freundlicher Unterstützung der HG Ringstraße 159 - eine
der wenigen, die auch heutzutage noch funktioniert - möchten wir Auszüge der vierbändigen
Hausgemeinschaftschronik veröffentlichen. Vielleicht gibt es ja dann bald wieder mehr davon...