Kulkwitzer See - gestörtes Ökosystem
Sporttaucher, die den See schon seit längerer Zeit kennen, wundern sich darüber, dass die Sichtverhältnisse von Jahr zu Jahr schlechter werden. Ursache dafür sind nicht Fische, die im Sediment nach Nahrung wühlen. Sie verharren in der kalten Jahreszeit sowieso in Ruhestellung am Grund im Schutz von Pflanzen. Woher kommt also die Trübung, die nun im Gegensatz zu früher ganzjährig anhält? Verursacht wird sie in den Wintermonaten vorwiegend durch Schwebeteilchen und auch Bakterien. Phyto- und Zooplankton schränken in den wärmeren Monaten je nach Ausbildungsgrad weiterhin die Sichtverhältnisse ein. Die Frage stellt sich, wie kommt es zu so einer großen Anhäufung? Die Erklärung ist komplexer Natur und deckt im Zusammenhang damit noch andere Missverhältnisse auf, die das Ökosystem stören.
Auf dem See schwimmen unverhältnismäßig viele Blessrallen (Fulica atra), die sich in den letzten Jahren stark vermehrt haben. Sie sind omnivor, Allesfresser. Ihre tierische Nahrung besteht aus Muscheln (im Kulkwitzer See kommen vornehmlich Dreikantmuscheln vor), Schnecken, Würmern, Insekten und deren Larven, Kleinkrebsen, Froschlaich, Kaulquappen, Fischbrut u.a. Sie plündern auch Nester von Enten und Wasservögeln. Zur pflanzlichen Nahrung gehören Algen, vor allem Makroalgen, wie die im Kulkwitzer See so zahlreich vorkommenden Armleuchteralgen (Characea); höhere Wasserpflanzen wie Wasserpest, Hahnenfuß, Schilfschösslinge und Weichteile vom Kammförmigen Laichkraut u.a. Laichkräutern. Das Kammförmige Laichkraut, dessen Stängel von 2m unter der Wasseroberfläche bis in 7m Tiefe reichen kann, bildet im Kulkwitzer See große, fast undurchdringliche Bestände. Ein idealer Schlupfwinkel für Fische. Blessrallen fressen aber auch Gras, Brot und Abfälle.
Ihr Aufenthalt auf dem See - wie der Kenner der Unterwasserlandschaft weiß - entspricht genau den Orten, wo sie nach Wasserpflanzen tauchen. Dazu gesellen sich in den Wintermonaten noch andere Tauchente (aus den Gattungen Netta, Aythya, Bucephala). Die Kolbenente (Netta rufina) ist ein Nahrungsspezialist, der mit Vorliebe Armleuchteralgen frisst. Vom Kammlaichkraut fressen die Blessrallen nur die weichen Pflanzenteile und die am Stengel sitzenden Dreikantmuscheln. Da aber die gesamte Pflanze ausgerissen wird, schwimmt der große Rest im See. Ein Teil davon nehmen noch die Schwäne, die auf dem See zwischen den Blessrallen schwimmen. Der Hauptanteil wird jedoch an den Strand gespült. Auf diese Art werden die Pflanzen- und Armleuchteralgenbestände, die wichtigsten Sauerstofflieferanten im See, stark dezimiert. Zwar können sich die Pflanzenbestände in der Vegetationsperiode wieder etwas erholen, aber der Zuwachs reicht nicht aus und so wird seit Jahren ein ständiger Rückgang beobachtet.
Die zunehmende Eintrübung des Wassers behindert auch den Einfall des Sonnenlichts in größere Tiefen. Darunter leiden besonders die Armleuchteralgen, die bislang noch in 12 - 15m Tiefe wuchsen. Das Endergebnis ist eine kahle Unterwasserlandschaft, in der sich auch die gestressten Fische nicht mehr wohlfühlen, durch verstärkten Parasitenbefall krank werden und sterben.
Zu den durch die Fütterung angelockten Wasservögeln gesellen sich stets weitere Wintergäste. So kommt es zu einer übermäßigen Anzahl von Tieren, die den See stark belasten. Die Ausscheidungen der Vögel, die der Sporttaucher ständig von der Wasseroberfläche in die Tiefe fallen sieht, trüben das Wasser, sinken auf den Grund und sind bester Nährboden für Bakterien Grün- und Blaualgen. An den Unterwasserplattformen, die sich auch als biologische Messstationen eignen, ist das deutlich zu sehen. Auf dem Gitterrost der Plattform und am senkrecht hängenden Netz sind kompakte Ablagerungen zu sehen, auf denen sich Grün- und Blaualgen sowie Bakterien angesiedelt haben. Das ergaben mikroskopische Untersuchungen der Biogruppe 2008. Auch im Bodenbereich werden zunehmend Algen- und Bakterienkolonien beobachtet. Zu dieser Problematik kommt noch hinzu, dass in der Badesaison der See großen Einflüssen unterliegt, wie der Algenwuchs im Flachwasser im Oktober 2008 zeigt!
Die räumliche Verteilung der Algen, Makroalgen und höheren Pflanzen ist im See nicht einheitlich. Das lässt auf ein in Art und Menge unterschiedliches Nährstoffangebot schließen, wie beispielsweise Phosphor und Stickstoff. So wächst in einigen, noch lokal abgegrenzten Bereichen die Kanadische Wasserpest, ebenfalls ein Indikator für nährstoffreiches Wasser.
Natürlich verfügt der See auch über Selbstreinigungskräfte, beginnend im Mikrokosmos. Einig von ihnen wurden im Ergebnis
systematischer Untersuchungen von der Biogruppe im »Delphinarium«
, der Vereinszeitschrift des
Tauchsportvereins »Leipziger Delphine e.V.«
, vorgestellt. So z.B. ernähren sich zahlreiche
Wimperntierchen (Ciliaten) von Bakterien, wie die in der kälteren Jahreszeit im Kulkwitzer See massenhaft auftretenden
Einzeller, die Glockentierchen. Sie sind ein sichtbares Anzeichen für das Vorkommen von Bakterien. Allerdings benötigen sie
für ihre sesshafte Lebensweise Wasserpflanzen, an denen sie sich festheften. Werden diese herausgerissen und angeschwemmt,
dann sterben auch sie ab. Wahrscheinlich liefern sie dann den Hauptanteil der weißen Schaumflocken, die aus geschlagenem
Eiweiß bestehen. Der See verliert damit nicht nur Sauerstoffproduzenten sondern auch noch Selbstreinigungskräfte.
Die Hauptarbeit bei der Selbstreinigung erfolgt am Gewässergrund. Bei der Aufarbeitung des Detritus - zerfallene Reste von Tieren und Pflanzen - ist eine riesige Anzahl von Tieren beteiligt. Sie alle benötigen Sauerstoff. Ist der nicht mehr in ausreichender Menge gegeben, sterben auch sie ab. In der Folge treten verstärkt anaerob lebende Bakterien und Blaualgen auf, die Schwefelwasserstoff produzieren. Fauliger, giftige Gase entwickelnder Schlamm ist das Resultat, der sich erst partiell und in der Folge mehr und mehr ausbreitet. Der See kippt um, wie es in der Fachsprache heißt. Dem müssen wir entgegenwirken. Liebe Besucher, bitte halten Sie den See und sein Ufer zu jeder Jahreszeit sauber und füttern Sie bitte keine Tiere, wie es leider immer wieder zu beobachten ist!
Dr. Joachim Weiß (Text, Fotos und Coverfoto dieser Ausgabe)