Grün-As

»Polizei gehört auf die Straße«

Polizeirundgang und Bürgerforum offenbaren Ängste und Brennpunkte

Dass Grünau in der Kriminalstatistik der Stadt Leipzig im unteren Bereich rangiert, dürfte Vielen bereits bekannt sein. Dennoch hat sich in letzter Zeit bei einigen Einwohnern, besonders bei den älteren unter ihnen, ein Gefühl der Unsicherheit eingeschlichen. Die Vorkommnisse im WK 8 in jüngster Vergangenheit und die Zusammenlegung der Polizei-Reviere West und Grünau nach Lindenau zum 1. Januar dieses Jahres, haben ihr Übriges dazu getan. Doch gerade die Themen Ordnung und Sicherheit beschäftigen den Grünauer mehr als alles andere. Nicht verwunderlich in einem Stadtteil, der sehr stark von zunehmender Überalterung geprägt ist.

Um den Bürgern ein Stück weit Sicherheit zurückzugeben und die zuständigen Ordnungshüter für die Sorgen und Ängste der Betroffenen zu sensibilisieren sowie Handlungsschwerpunkte in Grünau aufzuzeigen, luden SPD-Landtagsabgeordnete Margit Weinert und das Quartiersmanagement Grünau am Nachmittag des 22. April zu einer Quartiersbegehung mit anschließendem Bürgerforum in der Völkerfreundschaft ein. Geladen waren Wohnungseigentümer, Mitglieder des Quartiersrates, Stadtbezirksbeiräte und seitens der Stadt Vertreter des Ordnungsamtes und des LE Bürgerdienstes sowie der neue Revierleiter West Jens Galka und Polizeipräsident Horst Wawrzynski. Letzterer musste zwar kurzfristig absagen, wurde aber durch seinen Vize Kriminaldirektor Uwe Matthias vertreten.

Bild Gleich am Startpunkt des Rundgangs schlug den uniformierten Gästen die heftigste Kritik entgegen. Thomas Neitemeier, Besitzer des Ärztehauses in der Selliner Straße und Leidtragender der beiden erst kürzlich verübten Brandstiftungen in diesem Bereich, sprach sie aus: »Ich bin unzufrieden. Hier ist definitiv etwas nicht in Ordnung«, sagte er und schob die nächste Frage gleich hinterher: »Was ist nach den zwei Bränden konkret passiert?« Eine Antwort, blieb man ihm mehr oder weniger schuldig, und verwies statt dessen lediglich auf eine Erhöhung der fußläufigen Polizeipräsenz um mehr als 100 Prozent. Damit gab sich der Gewerbetreibende jedoch nicht so schnell zufrieden. Er habe nach dem Brand im KOMM-Haus sehr viel Geld für die Installation von Überwachungstechnik investieren müssen - eine Maßnahme, die der Apotheker eigentlich von der Stadt erwartet hätte, auf die er aber vergeblich wartete. »Eigentum verpflichtet aber auch«, konterte daraufhin Polizeirat Jens Galka.

Bevor sich der Tross in Richtung Freizeittreff ARENA in Bewegung setzte, einigte man sich noch darauf, dass sich gewisse Taten zwar nicht verhindern, wohl aber durch gute Zusammenarbeit und Absprachen eindämmen ließen. Der Jugendclub ARENA ist ein weiterer Brennpunkt Grünaus. Am Rande des WK 7 gelegen - mitten im Grünen. Was idyllisch aussieht und scheint, hat jedoch ganz klare Nachteile, wie Clubleiter Norbert Hunger berichtete: »Jeden Montag müssen wir die Schäden des Wochenendes beseitigen. Manchmal sind es 'nur' Flaschen und anderer Unrat, manchmal aber auch zerstörte Fenster und Türen. Die einsame Lage animiert zu Vandalismus.« Dabei habe man mit den »eigenen« Kids kaum Ärger. Fast ausschließlich seien es Jugendliche, die von den Diskotheken aus Miltitz an der Einrichtung vorbeikämen und sich dort austoben wollten. Viel könne man bei dieser Problematik zwar nicht unternehmen, aber einen leicht umzusetzenden Tipp hatte Galka trotzdem parat: Durch das Zurückschneiden der Bäume, Büsche und Hecken könnte man auf jeden Fall für mehr Einblick sorgen und so die Hemmschwelle ein wenig erhöhen.

Eher besinnlich wurde der nächste Schwerpunkt der Tour. Pfarrer Matthias Möbius der evangelischen Paulus-Gemeinde lud alle Rundgangsteilnehmer zur kleinen Verschnaufpause in seine Kirche ein. Nicht, dass sie trotz zweier Einbrüche Ende letzten Jahres als besonders gefährdeter Ort im Stadtteil gelten würde. Vielmehr nutzte Möbius die Gelegenheit, in kleiner Runde auf die Diskrepanz zwischen tatsächlicher und gefühlter Sicherheitslage in Grünau aufmerksam zu machen. »Gerade die Älteren denken, sie werden auf der Straße erschlagen«, schildert er die Ängste vieler Bürger mit drastischen Worten. Die könne auch die positivste Statistik nicht einfach wegwischen. Das Sicherheitsgefühl - ein Thema mit dem die Vertreter von Ordnungsbehörde und Ordnungsmacht nicht zum letzten Mal an diesem Nachmittag konfrontiert wurden.

Unmittelbar im Anschluss ging es zur Problemmeile Grünaus, die doch eigentlich die Flanier- und Vorzeigeachse schlechthin sein sollte. Die Stuttgarter Allee, angefangen beim PEP bis hin zur Ratzelstraße, bietet aufgrund ihrer Lage im Wohngebietszentrum und der problematischen sozialen Anwohnerstruktur jede Menge Zündstoff. Der von Kritikern zum »Säufzerbrunnen« umgetaufte Wasserspender direkt vor dem Einkaufscenter PEP ist eine von insgesamt sage und schreibe 528 Trinkerstellen in ganz Leipzig. Der öffentliche Verzehr von Alkohol mit all seinen unangenehmen Begleiterscheinungen, wie Urinieren in der Öffentlichkeit, Belästigung von Passanten, Schlägereien oder permanente Ruhestörung stellt eines der größten Ärgernisse für viele Bewohner dar.

Center-Managerin Antje Harwig geht ins Detail: »Früh stehen die ersten da. Das sind die Älteren und die werden nachmittags von der jüngeren Generation vertrieben - mitunter sehr gewalttätig. Die sitzen dann bis spät in die Nacht hier.« Problematisch sei dieser Zustand nicht nur für vorübergehende Passanten, sondern vor allem für die Anwohner: »Über der Passage befinden sich Eigentumswohnungen. Das heißt, die Besitzer haben viel Geld für ihre eigenen vier Wände bezahlt, können nicht einfach wegziehen und müssen sich nun mit diesen Zuständen abfinden«, so Harwig. Auch die Gewerbetreibenden seien von der Situation genervt. Die Mieten sind nicht eben niedrig und so manch einer frage sich natürlich, ob diese noch gerechtfertigt seien. Auf die Schilderungen folgte die logische Frage an Polizei und Ordnungsdienst, was man gegen solche Zustände unternehmen kann. »Nicht viel, so lange der Verzehr nicht verboten ist«, beantwortete Hans-Dieter Kretschmer, Bereichsleiter Stadtordnungsdienst, diese Frage.

Bild Ein Verbot könne man allerdings erreichen, in dem alle Vorkommnisse angezeigt und damit aktenkundig würden. Dies böte eine rechtliche Grundlage. Ansonsten sind sowohl der Polizei als auch dem Bürgerdienst LE, der sich ebenfalls um solche Problemfälle kümmere, die Hände gebunden. »Wenn wir kommen, sind sie friedlich - was sollen wir da machen? Auch solche Leute haben ein Recht darauf mit anderen Menschen zusammenzutreffen. Ihr Kommunikationspunkt ist nun mal auf der Straße und das können wir ihnen nicht einfach verbieten, nur weil uns ihr Lebensstil nicht gefällt.« Diese Worte musste er so oder ähnlich noch einige Male von sich geben. Denn als die Rundgänger nach drei Stunden Grünaubegehung die Völkerfreundschaft erreicht hatten, erwartete sie schon ein gut gefüllter Saal mit interessierten Bürgern, denen eben jene Probleme und Fragen á la »Müssen wir uns wirklich mit den Trinkern abfinden?«, »Wo rufe ich im Notfall am besten an - bei der 110 oder direkt im Revier?«, »Gibt es eigentlich noch eine Polizeistunde?« auf den Nägeln brannten.

Bevor sie die jedoch loswurden, wollten Uwe Matthias und Jens Galka zunächst dem Vorurteil widersprechen, mit der Revierzusammenlegung, gäbe es weniger Polizei vor Ort. Das treffe genauso wenig zu, wie die Annahme, das Grünauer Revier sei seit dem Januar geschlossen. »Vielleicht haben wir das anfänglich unglücklich kommuniziert«, geben die Ordnungshüter zu. Richtig sei, dass der Ermittlungsdienst in Grünau geblieben ist, das Gebäude also noch genutzt wird. Zumindest so lange bis ein neues Domizil gefunden wurde. Denn derzeit sei man auf der Suche nach einem neuen Revierstandort, der zentral zwischen Lindenau und Grünau liegt und somit beiden Stadtteilen gerecht wird. Unabhängig davon scheint aber das eigentliche Ziel zur (Wieder-)Herstellung der gefühlten Sicherheit zu sein, die Polizeipräsenz spürbar zu verstärken. »Die Polizei gehört auf die Straße, nicht hinter Schreibtische«, sagt Galka und spricht den meisten Anwesenden damit aus dem Herzen.

Klaudia Naceur
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