Erster Pfarrerwechsel bei Grünaus Katholiken
Nach 25 Jahren in Sankt Martin übergibt Hartmut Nikelski sein Amt an Eberhard Thieme
Hartmut Nikelski ist ein Leisetreter. Trubel mag er nicht, schon gar nicht jenen um seine Person. Dass seinetwegen die
katholische Sankt-Martins-Kirche an diesem sonnigen 28. Juni besser gefüllt ist als zu Weihnachten, nimmt der scheidende
Pfarrer ohne sichtlichen Stolz hin. Nach fast 25 Jahren in Grünau übergibt der erste und einzige Priester der noch jungen
Gemeinde sein Amt an Eberhard Thieme. Mit »Macht's nicht zu fett!«
, verabschiedet sich Hartmut Nikelski aus der Sitzung des
Pfarrgemeinderats - seiner letzten im aktiven Priesterleben.
Der 67-Jährige ahnt, dass ihm die Gemeinde einen ruhigen
Ausstand verwehren wird. Zu lange hat der gebürtige Greifswalder die Geschicke von Sankt Martin geleitet, erstmals steht
hier ein Pfarrerwechsel an. Etliche Gruppen möchten sich mit Programm oder Geschenk oder beidem von Nikelski verabschieden.
Der ist derweil bereits umgezogen, wird die Rentenjahre inmitten seiner Priestergemeinschaft im Lindenauer »Oratorium
Philipp Neri«
verbringen. Es ist 9.55 Uhr, als das Orga-Team sich dazu entschließt, auch im Kirchenvorraum noch Stühle
aufzustellen. Wenig später erscheint eine Ansammlung von Kirchenmännern. Propst Lothar Vierhock, Hauptpfarrer in der Region
Leipzig, spricht einleitende und dankende Worte. Pfarrer Eberhard Thieme avanciert zum Leiter des Gottesdienstes, obwohl er
sich beim Gruß an seine neue Gemeinde als »zurückhaltenden«
und »zögerlichen Typen«
beschreibt. Nikelski also nur Randfigur
beim eigenen Abschied? Jawoll - und typisch für den wortkargen Norddeutschen.
Dass Matthias Möbius, der Pfarrer der
benachbarten Paulusgemeinde, heute dabei ist, weist auf eine innige Beziehung zu den Evangelen hin. Eine Grünauer
Spezialität, die jedoch vom konservativen Katholiken-Flügel oft kritisch beäugt wird. Egal: »Ökumene ist geil«
, poltert
Nikelski bei einem Interview zum 20-jährigen Kirchbestehen ins Mikrofon. Basta! Sieben Messdiener begleiten den Klerus zum
Altar. Volle Kapelle! Übrigens auch im wörtlichen Sinne: Vielleicht 300 Gäste besetzen alle Nischen, die selten genutzte
Empore ist voll, rechts vom Altar hat sich der Chor postiert, der Ökumenische Kindergarten beteiligt sich mit einem
Beitrag. Während Hartmut Nikelski die Messe normalerweise in sportlichen 48 Minuten zelebriert, gibt es heute eine halbe
Stunde drauf. Und anschließend noch so einiges mehr. Eine rührende Laudatio kommt vom evangelischen Altpfarrer Klaus
Michael, der mit lebendigen Episoden Vergangenes würdigt, aber vor einem zu ruhigen Ruhestand warnt: »Such dir ein gutes
Hobby«
, rät er dem Kollegen.
Bei weiteren Grüßen kommt auch Thieme nicht zu kurz, der übrigens mal evangelisch war und sich
für die Zusammenarbeit mit »denen von drüben«
sogleich gewaltig ins Zeug legt. Nach einem Sektempfang mit Musik warten
draußen im Festzelt Grillgut und 14 ehrenamtlich gefertigte Salate auf den Pfarrer und seine Gäste. Derweil bleibt Hartmut
Nikelski seiner Linie treu. Nicht einmal heute fehlt der kritische Blick auf die Uhr, als die Grußworte sich mehren.
Dennoch glaubt einer der Messdiener, eine Träne im Pfarrer - Antlitz ausfindig gemacht zu haben, als »seine«
Ministranten
sich im weißen Gewand aufreihen und zum Abschiedsfoto bitten. Emotionen sind eben nicht die Sache dieses Mannes, der den
Aktiven in seiner Gemeinde viele Freiräume gelassen hat und trotzdem energisch dazwischen hauen konnte. Das Geschenk aus
Sankt Martin? Ein Priestergewand. Wohl wissend, dass Nikelski trotz Rentnerdasein bei Bedarf einspringen wird - sicher auch
in Grünau.
Die Geste des Tages stammt indes vom Nachfolger. Nach dem Kaffeetrinken spaziert Eberhard Thieme durch die Reihen, schüttelt jedem Angetroffenen die Hand und hält dabei sichtlich gerührt eines seiner Willkommensgeschenke in die Luft: Während der Feier haben ihm viele Gäste gemeinsam ein Bild gemalt.
Reinhard Franke