Auf der Suche nach dem Paradies in Grünau
Immer wenn mich jemand fragt, woher ich komme, schäme ich mich fast, dass ich in Grünau groß geworden bin. »Ah,
aus dem Ghetto«
, meinen die Leute zu wissen. Aber nein, daher komme ich nicht. Im komme aus dem Paradies - dem
angedachten Paradies für 85.000 Menschen. Diesem scheinbar verlorenen Ruf des Paradieses widme ich in autogeografischen
Zügen meine Diplomarbeit.
Zunächst erinnere ich mich. 1982 zogen wir in den Neubau ein. Warmes Wasser aus der Wand. Sonntags war immer Badetag. Das Wasser wurde nicht extra berechnet, man hatte so viel, wie man wollte. Keine Kohlen mehr schleppen - dank der Fernwärmeversorgung - warme Zimmer im Winter. Extra abgerechnet wurde nicht. Man konnte heizen, so viel man wollte. Auch wenn es aus den Fugen zog. Die Zimmer waren groß, hell und freundlich. Im Wohnzimmer hatten wir einen Wald, eine Wandtapete, die ganze Querseite lang. Im Fenster blühten lila Orchideen. Der Wellensittich war blau. Die Sommer rot und üppig, denn die Geranien gediehen prachtvoll auf dem Balkon.
Wir spielten oft im Hof. Anfangs war er noch unbegrünt. Aber dank Subotnik am Wochenende änderte sich die Situation schnell. Mein Vater und Nachbarn holten Hecken, Sträucher und junge Bäume von Kippen weg. Damit Grünau grün wird. Das war doch der Traum von vielen. Heute sind die Bäume sechsgeschossig. Und die Bewohner zur Hälfte weggezogen. Grünau ist meine Heimat, denn dort wuchs ich auf. Es hat sich in meiner Erinnerung eingegraben, ein Heimatbild, ein Bild vom Paradies. Aber was ist geblieben? Was hat sich geändert? Was wird sein? Das sind die Fragen, mit denen ich mich als Diplomandin der Kunsthochschule Burg Giebichenstein (in Halle) im Fachbereich Kommunikationsdesign beschäftigen und fotografisch auseinander setzen möchte. Es wird ein Buch entstehen, welches in zwei Motivsträngen von Grünau erzählt.
Die erste Fotostrecke spürt den Raum der Vegetation auf, welcher um so paradiesischer wirkt, je verlassener es wird. Der zweite Teil erzählt von den Bewohnern und ihrem Leben, welches sich dort seit über 30 Jahren abspielt. Was ist geblieben vom Traum? Was hat sich geändert? Wie sieht die Zukunft aus? Es soll eine Bilderfolge und Interviewreihe entstehen, die Ein- und Ausblicke der Mietermentalität schafft. Ich möchte Mieter finden, die sich ihr kleines Paradies aufgebaut haben. Mieter, denen Grünau zur geliebten Heimat geworden ist. Auf meiner bisherigen Suche nach den privaten Paradiesen bin ich fündig geworden. Zum Beispiel gibt es Grünauer, die sich liebevoll um ihre Mietergärten kümmern. Wo vorher ein Haus stand, bereichern nun Kräuter, Gemüse, bunte Blumen und Steingärten den Lebensraum der Pächter.
Bei meinen Streifzügen durch Grünau bin ich auch auf den Vorgarten von Frau Wolf aufmerksam geworden. Genauso hingebungsvoll, wie sie ihren Vorgarten gestaltet hat, ist auch ihre Wohnung ausstaffiert. Bis ins kleinste Detail ist alles mit viel Liebe genäht, verkleidet und aufgehübscht. Der Balkon von Frau Hillmann fiel mir sofort ins Auge - dicht berankt von Wein und Bohnen. Auch ein exotisch klingender Vogel ist hier beheimatet und trällert jeden Tag sein schönes Lied. Man könnte meinen, man sei im Paradies. Viele Grünauer, die ich traf, bestätigten mir, dass sie hier im Paradies leben, in ihrem persönlichen Idyll.
Auch weiterhin suche ich nach Grünauern, die mir einen fotografischen Einblick in ihr privates Paradies gewähren. Vielleicht gibt es noch den einen oder anderen, der eine Fototapete im Wohnzimmer hängen hat, oder Orchideen züchtet, oder so viele Grünpflanzen beherbergt, dass er sie kaum zählen kann. Auch wer es sich einfach gemütlich gemacht hat, sich einen Ort der Glückseligkeit geschaffen hat, kann sich bei mir unter 03 41 - 4 95 57 81 oder unter meinparadies@gmx.de melden. Ich bin über jeden Kontakt dankbar, denn jeder Hinweis auf ein Paradies in Grünau füllt mein Buch und leistet einen kleinen Beitrag zur Aufwertung des Rufes von Grünau.
Antje Stumpe