Gedenkstein mahnt zum Nachdenken
Lausener Kriegerdenkmal erinnert an Opfer beider Kriege
Sie hatten nicht die geringste Ahnung von Krieg, zogen hinaus, um ihr Vaterland zu verteidigen. Viele Männer meldeten sich sogar freiwillig, als Deutschland 1914 meinte, einen Krieg führen zu müssen. Verdrängt wurde wohl, dass das auch Töten und Verwunden, bedeuten kann. Hatte in Berlin doch der Kaiser prophezeit, dass sie bald wieder zuhause wären. Lange dauerte es nicht, da waren die Soldaten ernüchtert, erschrocken über die eigene Brutalität, traumatisiert - falls sie überhaupt noch am Leben waren. Der grauenhafte Erste Weltkrieg, an dem sich alle großen europäischen Industrieländer beteiligten, stürzte zahllose Familien ins Unglück.
Kamen Väter und Söhne zurück, dann oft bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Viele waren so gezeichnet, dass sie nie wieder ein normales Leben führen konnten. Demokratien gerieten in Folge des Ersten Weltkrieges ins Wanken, totalitäre Ideologien erhielten großen Zulauf. Kaum waren mehr als zwei Jahrzehnte vergangen, tobte der Zweite Weltkrieg. Die Verluste waren noch schrecklicher.
Kaum ein großes Ereignis war im 20. Jahrhundert so todbringend - und scheint doch wieder vergessen, betrachtet man die aktuelle politische Lage. Was kann man tun? Auch im Kleinen lässt sich etwas erreichen. Gedenksteine, die an die Opfer beider Kriege erinnern, gibt es an vielen Orten Deutschlands - auch in Lausen. Bereits 1926 wurde das Mahnmal auf dem alten Dorfplatz eingeweiht. Lausener und Grünauer Bürger setzten sich dafür ein, dass es 2002 restauriert wurde. Dass die Schriftzüge in dem rötlichen Sandstein nun wieder gut lesbar sind, ist neben dem Kulturamt, das einen Teil der Kosten übernahm, vor allem Lausener und Grünauer Firmen und Bürgern zu danken. Zu ihnen gehört auch der ehemalige DSU-Stadtrat Karl-Heinz Obser, der das Anliegen mit einer großzügigen Spende unterstützte.
Doch ohne Charlotte Schneider wäre der stark verwitterte Stein wohl ein bisschen vergessen worden. Sie hat wesentlich
dafür gesorgt, dass an die Opfer beider Kriege erinnert wird. Wer vor dem Mahnmal steht, liest auch den Name einer Frau:
Elsa Henriette Staffelstein, geborene Caspary. Charlotte Schneider erzählt: »Sie war eine Jüdin, die zum
evangelischen Glauben übergetreten ist und in Lausen lebte - eine gutherzige Frau, die viel für das Dorf spendete und sich
im christlichen Frauendienst engagierte.«
An deren Güte erinnert auch Gudrun Matschenz. In ihrem Buch »Einblicke in mein bewegtes Leben«
schreibt die Grünauerin von den Besuchen ihrer Tante Gerda bei der älteren Dame. Als Kind sei sie nie mit leeren Händen
nach Hause gekommen. Immer gab es Leckereien und daheim, bei den fünf Geschwistern, sei die Freude jedes Mal groß gewesen.
Doch die Besuche endeten 1941. Charlotte Schneider weiß warum: »Eines Tages meinten meine Eltern. 'Jetzt haben sie
die arme, alte Frau auch noch abgeholt'. Wie es dazu kam? Sie muss wohl denunziert worden sein.«
Zunächst brachte
man die ältere, gehbehinderte Dame in das Ariowitsch-Haus, ein jüdisches Altenheim in der Auenstraße. Am 20. September 1942
wurde die Lausenerin, gemeinsam mit 877 älteren Menschen, in das Vernichtungslager Theresienstadt transportiert. Dort starb
Elsa Staffelstein am 16. Oktober 1942.
Ihr Schicksal war auch Karl-Heinz Obser im Gedächtnis, als er anlässlich des Volkstrauertages zur stillen Andacht am
Lausener Gedenkstein mahnte. Gleichzeitig erinnerte der Grünauer an die Millionen anderen Opfer: »Väter und Söhne
- gestern noch unentbehrlich für Zusammenhalt in der Familie mit all ihren Pflichten des Alltages, unersetzbar für den
Fortbestand der bäuerlichen Wirtschaften und Handwerksbetriebe - kehrten von den für sie schicksalhaften und individuell
nicht beeinflussbaren Waffengängen in den Schützengräben des 1. und 2. Weltkrieges nicht mehr zurück. Sie hinterließen
unsagbares Leid, ja Verzweiflung, wirtschaftlichen Verlust, Not und lang anhaltende tiefe Trauer ihrer Angehörigen.
Angesichts der entsetzlichen Verluste beider Weltkriege, der Opfer von Krieg, Massenmord und Vertreibung bis in die heutige
Gegenwart wurde die Weltsicht bei den meisten Menschen dauerhaft verändert und die Lehre gezogen, die da lautet: Kriege
sind kein Mittel, dauerhaft die Konflikte und Probleme dieser Welt zu lösen!«
In diesem Sinne sollten uns Kriegerdenkmale mahnen. Falsch verstandenen Patriotismus, Verharmlosung von Kriegen darf es nicht geben. Gedenkstätten und Mahnmale, wie das Lausener, fordern zum Nachdenken auf - über Menschlichkeit, Toleranz, zivilisiertes Verhalten oder ganz einfach - über den Umgang miteinander.
Ingrid Hildebrandt