Zum Auftakt gibt's drei Haselnüsse
Theatrium vor dem Neustart - »Grün-As« im Gespräch mit den Machern
Für das Theatrium beginnt im Dezember eine neue Ära. Nach langem Kampf um ein angemessenes Domizil zieht das Kinder-
und Jugendtheater in brandneue Räumlichkeiten im Wohnkomplex 2. Mehr noch: Mit Sandra von Holn hat sich der großstadtKINDER
e.V. mit Geschäftsführerin Beate Roch zum 1. Oktober eine neue künstlerische Leiterin ins Haus geholt, die etliche
Erfahrungen aus der Arbeit mit der jungen Generation mitbringt. »Grün-As« traf kurz vor der Eröffnung inmitten einer
Bauarbeiterschar auf die beiden engagierten Damen.
Grün-As:
Hier sieht es auf den ersten Blick nicht so aus, als ob Sie pünktlich starten können! Wie verläuft denn der Bau, Frau
Roch?
Beate Roch:
Nun, eng wird es wahrscheinlich schon. Aber das ist ja immer so. Die Gewerke leisten hervorragende Arbeit - und das
mittlerweile auch bis in die Nacht und am Feiertag. Die Zusammenarbeit mit den Architekten und in unserem Team
ist toll. Auch wenn es nicht so aussieht: Wir liegen im Plan.
Grün-As:
Und womit startet das Programm in der Alten Salzstraße 59, Frau von Holn?
Sandra von Holn:
Wir eröffnen mit der
Weihnachtsproduktion »Drei Haselnüsse für Aschenbrödel.« Die läuft ab 6. Dezember täglich und wird so
gut angenommen, dass die Schülerveranstaltungen meist schon ausverkauft sind. Aber an den Wochenenden vor Weihnachten haben
wir noch Restplätze. Ohne telefonische Reservierung wird es aber sicher nichts. Den Grünauern stellen wir uns während eines
Tages der offenen Tür am 5. Dezember ab 13 Uhr vor. Gegen 16 Uhr läuft die öffentliche Generalprobe fürs Aschenbrödel. Die
anderen Stücke, an denen wir gerade arbeiten, werden im Frühjahr erstmalig zur Aufführung kommen.
Grün-As:
Das Theatrium und Sandra von Holn als deren künstlerische Leitung - wie kam das zusammen?
Sandra von Holn:
Klassische
Bewerbung! Ich bin seit 1996 in Leipzig und kannte das Theatrium, weil ich mir einige Stücke hier angesehen hatte. Das
passt mir einfach gut ins Konzept: Beide Seiten sind an langfristiger Zusammenarbeit interessiert. Hier habe ich eine halbe
Stelle, kann mich überdies selbst künstlerisch beschäftigen. Das ist eine sehr gute Kombination: Jede Hälfte meiner Arbeit
ist auch hilfreich für die andere.
Beate Roch:
Wir hatten öffentlich ausgeschrieben und danach einige Vorstellungsgespräche.
Sandra hat am besten zu uns gepasst, und das hat sich bisher bestätigt. Sie ist ein Teamplayer, hat in verschiedenen
Städten mit Kindern und Jugendlichen gearbeitet. Schon vor ihrem richtigen Arbeitsbeginn am 1. Oktober hat sie sich am
Konzept für die neue Spielzeit beteiligt.
Grün-As:
Wären Sie denn auch ohne das neue Haus gekommen?
Sandra von Holn:
(lacht) Ja, na klar. Aber im Ernst: Ich weiß, dass ich
mich hier ins gemachte Nest setze. Die Arbeit haben ja andere geleistet. Das hier ist im Vergleich zu bisherigen Stätten
wirklich Luxus, die Möglichkeiten des Hauses sind genial.
Grün-As:
Dafür hat die Stadt auch 1,2 Millionen Euro locker gemacht, während man über die Schließung des Naturkundemuseums
nachdenkt. Fühlen Sie sich irgendwem verpflichtet?
Beate Roch:
Natürlich! Den Kindern und Jugendlichen! Was Geld betrifft,
kommt man sich manchmal vor wie ein Bettler. Dabei ist Kinder- und Jugendarbeit eine Pflichtaufgabe des Staates. Das ist
doch hier kein Selbstzweck. Umso besser, dass in diesem Fall engagierte Politiker die Weichen gestellt haben. Auch die
Stadtverwaltung hängt mit vier bis fünf Ämtern drin, die prima mitgezogen haben. Trotzdem darf es damit jetzt nicht getan
sein!
Grün-As
Noch mehr Geld? Ist das nicht ein wenig frech nach dieser beachtlichen Investition?
Beate Roch:
Ist es nicht. Denn was
bringt uns das Haus, wenn uns dann das Geld für den Betrieb oder fürs Personal fehlt? Manche schieben hier 80 Überstunden,
die sie wohl nie abfeiern können.
Sandra von Holn:
Nur mit Ehrenamt ist es eben nicht getan. Hier sind alle mit viel Idealismus
dabei, aber das hat Grenzen. Wir haben viel vor, planen diverse Werkstätten, die professionell geleitet werden müssen - für
Kostümbildnerei, für Werbung, für Autoren, für Hörspiele.
Das neue Theatrium
Grün-As:
Dann öffnen Sie doch das Haus für private Veranstaltungen, um Mittel zu akquirieren!
Beate Roch:
Wir sind und werden
kein »Kulturhaus Grünau« . Das erwartet das Kulturamt übrigens auch nicht. Wir werden aber versuchen,
mehr Gastspiele ins Theatrium zu holen. Ansonsten liegt der Schwerpunkt ganz klar auf der Projektarbeit. Dafür sind wir
hier in Grünau angetreten.
Sandra von Holn:
Trotzdem sind wir offen, haben einige Träume und sagen vorerst zu nichts »Nein« !
Beate Roch:
Doch! Ich denke, die Vermietung für private Feiern zum Beispiel wird es hier - vorerst -
nicht geben.
Sandra von Holn:
Schade - aber eigentlich gehen verschiedene Dinge aus Personalmangel auch gar nicht: Wenn ich meine
Arbeitszeit darauf verwenden würde, wären mit einer Feier samt Vor- und Nachbereitung meine Wochenstunden weg, ohne dass
ich mit Kindern und Jugendlichen Theater gemacht habe.
Grün-As:
Neues Haus und neue künstlerische Leitung - der Beginn einer neuen Ära?
Sandra von Holn:
Das bringt der Umzug automatisch
mit sich. Das Haus ist toll, aber es könnte auch problematisch sein, dass wir morbiden Charme gegen ein Glasfoyer
eintauschen. Die Neugier ist jedoch groß, wir werden sehen. Und zu meiner Arbeit: Mir ist das Ausprobieren verschiedener
Mittel am wichtigsten. Wir nutzen das Medium Theater als Form sozialer Arbeit, ohne den Begriff in der Arbeit mit den
Jugendlichen zu betonen. Das passiert einfach.
Beate Roch:
Das Experimentelle war auch vorher schon wichtig, das Grundkonzept
bleibt. So wie ich die künstlerische Leitung einschätze, werden wir mehr Elemente aus dem Musiktheater haben.
Sandra von Holn:
Ich
fände es außerdem schön, wenn wir in Zukunft mehr Austausch mit anderen Häusern und Theatergruppen hätten. Zum Beispiel mit
einer Kinder- oder Jugendtheatergruppe aus einer anderen Stadt das gleiche Thema auf die Bühne bringen und sich gegenseitig
die Ergebnisse zeigen. Nur ist das wiederum eine Geldfrage.
Grün-As:
Ist Grünau ein schwieriges Pflaster?
Beate Roch:
Wir haben hier eine sowohl bei Zuschauern als auch Spielern bunte
Mischung. Die Hälfte kommt nicht aus Grünau. Wir haben Förderschüler, Mittelschüler und Gymnasiasten. Natürlich gibt es
gruppendynamische Prozesse. Die Arbeit hier führt aber zu einem Zusammengehörigkeitsgefühl, das soziale Ungleichheiten zur
Nebensache macht.
Sandra von Holn:
Dazu kommt, dass wir Kreativität als Fähigkeit abfragen. Mit schulischen Leistungen hat das
nichts zu tun. Es fragt auch keiner nach Schulzugehörigkeit, diese Klischeegrenzen werden aufgebrochen.
Grün-As:
Was ist für Sie Erfolg?
Sandra von Holn:
Wenn die Leute nicht einfach heimgehen und gleich den Fernseher anmachen. Wir
wollen ins Gespräch kommen oder zum Gespräch anregen.
Beate Roch:
Natürlich wollen wir auch genug Zuschauer haben, und zwar
nicht nur aus finanziellen Gründen: Es wäre frustrierend, wenn 14 Darsteller vor 10 Leuten spielen. Dann wären die 99
Plätze sogar nachteilig - denn drüben wirkte es mit 20 Besuchern schon voll. Doch wir sind zuversichtlich, dass allein das
neue Haus attraktiv genug ist, um Zuschauer anzulocken.
Grün-As:
Wie reagieren die Anwohner auf den neuen Nachbarn?
Sandra von Holn:
Es gab die üblichen Sorgen wegen Baulärm. Eine gewisse
Skepsis war zu erwarten. Einige Anwohner haben auch schon mal beim Bau vorbeigeschaut und sind mit uns ins Gespräch
gekommen. Alles in allem haben wir das Gefühl, freundlich empfangen zu werden.
Beate Roch:
Man spürt eine freudige
Erwartungshaltung, manch ein Anwohner hat uns toll unterstützt. Einige glaubten, dass an Spieltagen die Parkplätze knapp
werden. Doch die Jugendlichen haben meist kein Auto und kommen mit dem Rad, viele Zuschauer ebenso.
Grün-As:
Im Gegensatz zu Sandra von Holn sind Sie schon seit Beginn dabei. Wie lange sitzen Sie noch am Ruder, Frau Roch?
Beate Roch:
Ein Theater neu zu eröffnen ist tatsächlich schon ein ungeheurer Erfolg, auch für mich. Allerdings will ich schon
noch ein wenig dabei bleiben, wenn sich die Dinge hier entwickeln. Aber mit 70 sitze ich hier nicht mehr herum. Auch nicht
mit 65...
Grün-As
Vielen Dank für das Gespräch. »Grün-As« wünscht Ihnen einen erfolgreichen Start!
Interview: Reinhard Franke
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