Geteiltes Grünau
Wieso die Umweltzone ein ganzes Viertel durchschneidet und warum ein gutes Park-and-Ride-System scheitert
Das Jahr 2011 hat der Stadt Leipzig einen ganz besonderen und hoch umstrittenen neuen Stadtplan beschert: In diesem werden erstmals gleich zwei dicke Linien um die Messestadt gezogen. Die erste zeigt an, wo Leipzigs Territorium aufhört - seit nunmehr elf Jahren unangetastet, allerdings erst nach einer recht eindrucksvollen Eingemeindungswelle.
Im Westen der Stadt »betroffen«
: Miltitz zusammen mit vielen weiteren Gemeinden im Jahr 1999 sowie Burghausen und Rückmarsdorf als
Nachzügler zur Jahrtausendwende. Die andere Linie hingegen ist neu und grün: Sie markiert die seit März 2011 aktive Umweltzone. Abgesehen von wenigen
Ausnahmen dürfen Autos und LKW innerhalb dieses Gebietes nur dann rollen, wenn sie schadstoffarm genug sind, um sich für eine grüne Plakette zu
qualifizieren. Viele ältere Modelle mit Dieselmotor waren aus dem Geschäft - der Ärger ist, auch medial begünstigt, noch heute ziemlich groß. Das
Nachrüsten ist teuer, und über den Erfolg der Maßnahme »Schaffung einer Umweltzone«
gibt es verschiedene Ansichten. Unbestritten ist,
dass die Umweltzone die Feinstaubbelastung nur um ein paar magere Prozentpünktchen drückt.
Unbestritten ist auch, dass das Wetter da schon mehr Einfluss hat, bekanntlich aber nicht reglementiert werden kann. Zu noch größeren
Messwertüberschreitungen trotz aktiver Umweltzone argumentieren Befürworter derselben mit »Ohne wäre es aber noch schlimmer«
, woraufhin
Gegner die Maßnahme hinsichtlich Kosten/Nutzen verwerfen und überdies vor der »Gängelung des freiheitsliebenden Menschen«
warnen.
Während die FDP und andere Kritiker medienwirksam aufbegehren, bleibt der Leiterin des Umweltamtes eigenen Angaben zufolge gar keine andere Wahl, weil
EU-Vorgaben zu erfüllen seien: »Mit Luftreinhalteplan und Umweltzone konnten ein mögliches Vertragsverletzungsverfahren und damit empfindliche
Strafzahlungen abgewandt werden«
, sagt Angelika von Fritsch - übrigens trotz politischer Karriere in eben jener krittelnden FDP.
Hypothetisch sei sogar ein Zwangsgeld von 250.000 Euro täglich möglich, ohne sich mit diesem Geld von den Maßnahmen »freikaufen«
zu
können. Angesichts der Konsequenzen sei ein Auflehnen gegen nötige Schritte Augenwischerei. Fritsch verweist zudem auf erste Erfolgsmeldungen aus Berlin,
wo innerhalb des S-Bahn-Rings bereits seit Anfang 2010 nur grün plakettierte Vehikel zugelassen sind und die Werte sich seither deutlich verbessert hätten.
Ähnliche Meldungen erhofft sich das hiesige Umweltamt für Leipzig - kann freilich aber erst im Folgejahr seriöse Statistiken vorzeigen. Auch anhand der
Ergebnisse soll dann der städtische Luftreinhalteplan fortgeschrieben werden, so Fritsch. Dieses Instrument birgt eine Vielzahl an flankierenden Maßnahmen
zur Verbesserung der Leipziger Luft, von denen etliche ebenfalls umstritten sind (beispielsweise das LKW-Verbot in der Harkortstraße) oder eher stotternd
anlaufen wie das begrüßenswerte Modell »Carsharing statt Fuhrpark«
.
Zwar seien die Umweltamtler und auch deren Chefin selbst häufig mit den geteilten Autos unterwegs. Doch internen Kreisen zufolge ist die Vorbildwirkung auf den Rest der Stadtverwaltung, nun ja, begrenzt. Ihre Mühen hat die Stadt auf ihrer Internetseite www.leipzig.de mit Karten und Katalogen ausführlich dokumentiert - nicht nur für Journalisten einen Blick wert.
Nicht im Internet erkennbar ist jedoch, warum der Zuschnitt der Zone indes mitten durch Grünau verläuft. Häufig identisch mit der Stadtgrenze, gibt es
besonders in Grünau einen interessanten Bruch. Wie auch in Rückmarsdorf und Lausen teilt die »grüne Grenze«
die
Viertel jeweils hälftig. Angelika von Fritsch begründet dies mit mehreren Faktoren. Erstens habe man die Zone nicht nach dem Motto »So groß wie
möglich«
, sondern »So groß wie nötig«
geplant. Bei der Variantendiskussion war zunächst auch eine kleinere Zone im
Gespräch.
Jedoch hätten einige stark belastete Straßen dann außerhalb gelegen, was den Sinn der kompletten Maßnahme noch mehr in Frage gestellt hätte. Zudem ist die Fläche nun so groß, dass laut Prognosen die Zielwerte erreicht werden können. Das heißt im Umkehrschluss aber auch: Größer muss sie dafür nicht sein. Deswegen sei der Schnitt der Zone auch nicht in Stein gemeißelt, sondern muss sich am Ergebnis messen lassen, so Fritsch. Vielleicht verändern sich also auch diese Grenzen ähnlich wie Stadtgrenzen. Zweitens müsse man wirtschaftliche Zwänge berücksichtigen. Offenbar ist man sich im Umweltamt bewusst, dass Ökonomie und Ökologie in punkto Umweltzone aufeinanderprallen. Das Löwen-Center in Rückmarsdorf ist demzufolge auch ausgenommen, damit keine Kunden verloren gehen und die Warenanlieferung nicht zum Problem wird.
Drittens müsse es für ankommende Autofahrer ohne oder mit falscher Plakettenfarbe die Möglichkeit geben, straffrei - also ohne Einfahrt - umzukehren oder zu parken. Dies ist insbesondere in Grünau relevant: Fritsch zufolge habe man sich für tragfähige, weniger belastete Straßen als Wendestellen entschieden. Viertens - und einer der entscheidenden Punkte für die Grünauer Extrawurst - wollten die Planer den Zugang zum Nahverkehr ermöglichen.
Durch den aktuellen Zuschnitt ist das gelungen, denn die Endstellen der Linien 1 und 15 können ebenso plakettenfrei erreicht werden wie drei der vier
kostenfreien Grünauer Parkplätze im städtischen Park-and-Ride-Konzept (P&R). Jedoch stehen die Flächen in Lausen, in der Plovdiver Straße und in der
Krakauer Straße trotz gutem Übergang zu Bus und Bahn häufig fast leer, vom Riesenparkplatz innerhalb der Zone am Schönauer Ring ganz zu schweigen. Das
gesamte Konzept scheitert nicht an der Verfügbarkeit und auch amtsseitig weiß man: Die gelegentlichen Rufe nach mehr P&R sind eigentlich nicht berechtigt.
Bei Events im Stadion sperren wir das Waldstraßenviertel großflächig, trotzdem fahren die Bürger so nah wie möglich an den Veranstaltungsort
heran«»Wir müssen uns vielmehr die Frage stellen, welche Erziehungsfaktoren man einsetzt.
, klagt Edeltraut Höfer aus dem Verkehrsamt, das die oft verwaisten Flächen verwaltet und ohne Einstellungsänderung bei den Autofahrern
wohl auch keine nennenswerten Erfolge hinsichtlich einer besseren Nutzung verzeichnen wird. Und auch LVB-Sprecher Reinhard Bohse sagt: »Wir sind
gewissermaßen Opfer des eigenen Erfolgs. Unsere Verkehrsmittel nehmen viele Menschen auf, der Gesamtverkehr in Leipzig läuft auch deswegen gut. Das schafft
Freiräume für den Individualverkehr, die sofort genutzt werden. Eine autofreie Innenstadt ist nicht realisierbar.«
Dass die Resignation groß ist, zeigt der Fakt, dass sowohl Planer als auch Verkehrsbetriebe Fragen zu Park-and-Ride immer nur auf Großveranstaltungen
beziehen. Die Hoffnung, dass mehr Ottonormalauswärtige den zweiten Teil ihres Arbeitsweges mit der Monatskarte in der Straßenbahn zurücklegen, ist
vermutlich längst gestorben. Immerhin einen Vorteil hats: Dass man drei der Plätze nicht mehr mit den Linien 2 und 8 erreichen kann, fällt Bohse zufolge
kaum ins Gewicht. »Wir konzentrieren uns auf die Events, fahren die Plätze mit Sonderlinien an«
, so der LVB-Sprecher. Die Parkflächen
selbst sind dennoch Teil reger Debatten in diversen Gremien. Hauptverantwortlich ist das Verkehrsamt, stets zu Tisch gebeten werden die Verkehrsbetriebe.
Eine Erfolgskontrolle gibt es zwar, die Angaben dazu sind aber recht unkonkret.
Man ist bei Events vor Ort, über Schleifen im Boden werde die Nutzung der P&R-Plätze dauerhaft erfasst. Ergebnisse für einen normalen Arbeitstag? Amtsleiterin Höfer winkt ab - viel ist es nicht. Immerhin will das Verkehrsamt die Flinte nicht ins Korn werfen: Noch in diesem Jahr wolle man dem Stadtrat Änderungen in der Strategie vorschlagen, sagt Höfer. Mehr auf Service setzen, bessere Informationen liefern, zusätzlich kleinere Plätze anbieten, die bei Autoanreise idealerweise gleich in der richtigen Fahrtrichtung liegen. Ein Gutes hat der ansonsten bedauerliche Misserfolg von Park-and-Ride dann doch noch: Diejenigen Grünauer in den von der Umweltzone verschonten Wohnkomplexen 7 und 8, die Horden von stinkenden und Feinstaub absondernden Uralt- Fahrzeugen auf Parkplatzsuche befürchteten, brauchen sich darüber wohl eher nicht den Kopf zerbrechen.
Reinhard Franke