Kein Willkommen für Flüchtlinge (1)
Wirbel um Wohn- und Betreuungskonzept für Asylsuchende
Wer - zufällig oder nicht - am 11. Juni gegen 17 Uhr auf der Stuttgarter Allee unterwegs gewesen ist, wurde unweigerlich Zeuge einer aufgebrachten
Menschenmenge vor dem Gebäude des Freizeittreffs mit dem bezeichnenden Namen »Völkerfreundschaft«
. Zirka 200 Leute hatten sich an jenem
Montagabend dort versammelt und skandierten: »Wir wollen rein!«
wahlweise auch: »Wir sind das Volk!«
. Die Türen der
Völle indes blieben zunächst verschlossen - im Inneren saßen bereits 300 Grünauer und warteten auf den Beginn der turnusgemäßen
Stadtbezirksbeiratssitzung.
Das elfköpfige Gremium sollte über das städtische Wohn- und Betreuungskonzept für Asylsuchende befinden und günstigstenfalls für oder gegen den Verwaltungsvorschlag votieren. Was die Stadtteilbewohner so massenhaft wie äußerst selten in der jüngeren Vergangenheit auf den Plan rief, war vor allem ein Punkt der sage und schreibe 57 Seiten umfassenden Vorlage. Dieser besagt, dass das seit vier Jahren leer stehende Mittelganghaus Weißdornstraße 102 als ein Standort für mindestens 180 zu erwartende Flüchtlinge etabliert werden soll.
Vorgeschichte
Zur Vorgeschichte: Im Jahre 2003 gab es in Leipzig insgesamt fünf Gemeinschaftsunterkünfte mit 1300 Plätzen. In Folge der rückläufigen Flüchtlingsströme
wurde diese Zahl auf zwei Häuser minimiert. Eines davon befindet sich in der Liliensteinstraße. Dort sind vorrangig Familien untergebracht. Die andere
Unterkunft liegt an der Grenze zu Taucha in der Torgauer Straße und soll schon seit 2009 aufgrund seiner baulichen Mängel sowie der geplanten
»Verwertung der Gewerbefläche«
auf dem sich das Heim befindet, geräumt und deren Bewohner auf mehrere kleine Häuser im ganzen
Stadtgebiet verteilt werden.
Dabei hat sich die Stadt mit Beschluss aus dem Jahre 2010 eine Höchstbelegung von maximal 50 Personen auferlegt. Dies kommt unter anderem der Forderung verschiedener Initiativgruppen näher, die sich um die Belange Asylsuchender bemühen und darum eine menschenwürdige und daher ausnahmslos dezentrale Unterbringung fordern. Zwei Jahre lang hatte sich das Sozialamt, in deren Verantwortungsbereich die Unterbringung von Flüchtlingen liegt, Zeit genommen, den Beschluss umzusetzen. Am 8. Mai 2012 wurde die Vorlage öffentlich und bereits am 20. Juni sollte sie eigentlich im Stadtrat votiert werden. Eigentlich.
Denn schnell regte sich Widerstand gegen die Pläne. Nicht nur in Grünau, wo der Oberbürgermeister bei seinem Stadtteilrundgang am 29. Mai mit den Fragen zur Vorlage konfrontiert wurde und eine Woche später ebenso die Sitzung des Quartiersrates ungewöhnliche viele Gäste im Zuschauerraum zu verzeichnen hatte. Auch in den Stadtteilen Wahren und Portitz, wo jeweils zirka 50 Personen untergebracht werden sollten, gingen Anwohner in recht unschöner Weise auf die Barrikaden - andernorts wurde zwar sachlicher, aber nicht minder heftig gegen das Konzept argumentiert, was letztlich zu gleich zwei Änderungsanträgen führte.
Für Grünau sehen diese vor: Die CDU verlangt einen kompletten Verzicht auf das Objekt Weißdornstraße und fordert darüber hinaus einen Bürgerentscheid. SPD, Linke und Grüne wollen die Belegung von 180 auf 50 Personen herabsetzen und die Nutzung auf zwei Jahre reduzieren. Dafür soll ein Gebäudekomplex in der Riebeckstraße umgewidmet werden, das zunächst aus Kostengründen für die Unterbringung nicht ins Kalkül gezogen wurde.
Bürgerinitiative gegründet
Die zeitlich begrenzte und deutlich geringere Nutzung der Weißdornstraße sei betriebswirtschaftlicher Irrsinn gibt hingegen die eilends in Grünau gebildete Bürgerinitiative für dezentrale Unterbringung von Flüchtlingen und Asylsuchenden zu bedenken. Sie hält die in der Vorlage angegebenen Umbaukosten für das Mittelganghaus an der Parkalle von 35.000 Euro für viel zu gering angesetzt, rechnet mit mindestens dem Zehnfachen. Hinzu käme das dicke Minus für die Bewirtschaftung eines unterbelegten Hauses. Kurzum: Die zehnköpfige Initiative kämpft für den Verzicht des Standortes und schließt sich damit der CDU- Forderung an. 1000 Unterschriften kamen bei der von ihr initiierten Aktion auf Grünaus Straßen innerhalb kürzester Zeit zusammen.