Nachfrage und Angebot
Vom Kampf der Grünauer Nahversorgung
Leipzig befindet sich seit einigen Jahren im Wandel. Um die daraus resultierenden Handlungsbedarfe zu erfassen und Entwicklungen gezielt zu lenken, hat die Stadt Konzepte erarbeitet, die sich unter anderem auch speziell mit Einzelhandel und Gewerbe befassen.
Bereits 2009 wurde ein so genannter Stadtentwicklungsplan Zentren erarbeitet und von der Ratsversammlung beschlossen. Derzeit wird er novelliert und an veränderte Bedingungen angepasst. Das Konzept soll einen Orientierungsrahmen schaffen und den Einzelhandel unterstützen.
Dabei wurde jeder Stadtteil für sich unter die Lupe genommen. In Grünau gibt es gleich sieben solcher deklarierter Zentren - das ist zum einen sicher der Größe des Stadtteils geschuldet. Zum anderen resultiert es aber auch aus der besonderen Bauweise des riesigen Gebietes.
Die einstigen Ladenstraßen der einzelnen Wohnkomplexe waren das, was heute Nahversorgungslage oder Zentrum genannt wird. Im Zuge des massiven Umbaus
Grünaus, verloren diese Ladenstraßen aber entweder an Bedeutung (Beispiel Alte Salzstraße im WK II) oder wurden sogar samt der Häuser weggerissen, wie die
Ladenzeile unter dem Elfgeschosser der Brackestraße im WK VIII. Gehalten hat sich letzteres dennoch.
Das D-Zentrum Miltitzer Allee umfasst neben Konsum und Netto, zwei Ärztehäuser, die Selliner Passage mit kleinen Einzelhandels- und Dienstleistungseinrichtungen, eine Lokalität sowie Sport- und Freizeitangebote - ein guter Branchenmix, der infrastrukturell gut angebunden aber dennoch weit genug entfernt von den Super-Größen im Einzelhandel ist.
Ein Glück, welches der Jupiterstraße (auch ein so genanntes D-Zentrum) im WK VII leider nicht vergönnt war. Gerade 300 Meter fußläufig vom einst aufwendig sanierten Zentrum befindet sich Kaufmarkt - eine Einrichtung, die gleich einem Magneten Käufer an sich bindet. REWE hat bereits aufgegeben, das Jupiterzentrum ist von Leerstand geprägt, der Konsum schaut, was die Zukunft bringt.
Und die ist nicht eben rosig: Denn schon bald könnte anstelle des verlassenen REWE-Marktes ein Neubau ähnlich dem entstehen, wie er schon in der Alten Salzstraße WK II und der Karlsruher Straße aus dem Boden gestampft wurde - mit großem Parkplatz vor der Tür.
Dies sei die Grundvoraussetzung für eine Investition und darum werde derzeit massiv gerungen. So könnten die Flachbauten, in denen noch Sparkasse,
Ärzte- und Physiopraxen, sowie die AWO beheimatet sind, demnächst einer großen Parkfläche weichen. Experten befürchten damit den Todesstoß für das Zentrum
und sehen die Stadt in der Pflicht, dies zu verhindern.
Viel Handlungsspielraum hat die Kommune jedoch nicht, obgleich derartige Entwicklungen von den Verantwortlichen durchaus kritisch wahrgenommen werden. Bei einer ähnlichen Thematik sprach man gar von der schleichenden Discounterisierung, der man nur im ganz geringen Maße beikommen könne.
Welchen Einfluss ein Neubau auf bestehende Einzelhandelseinrichtungen haben kann, zeigt ein Blick in bereits erwähnte Alte Salzstraße im WK II: Der Konsum - ein Leipziger Vorzeigeunternehmen, welches sich in anderen Stadtteilen qualitativ äußerst gut aufgestellt gibt - fristet dort ein trauriges Dasein. Wenig Kundschaft. Das Angebot sehr übersichtlich.
»Gruselig«
, wie es ein Passant auf den Punkt bringt. Dies gilt für die gesamte Ladenzeile. Dabei ist die Alte Salzstraße (D-Zentrum
Grünauer Allee), zu dem auch der REWE Markt auf der anderen S-Bahnseite sowie das Ärztehaus zählen, ein Paradebeispiel dafür, was passiert, wenn es zu viel
Einrichtungen für zu wenig Menschen gibt. Das fußläufig erreichbare B-Zentrum Stuttgarter Allee mit dem 1996 erbauten Allee-Center als Herzstück, bindet
die noch vorhandene Kaufkraft aus weiten Teilen Grünaus.
Obwohl die Alte Salzstraße eigentlich alles bietet, was man sich wünschen könnte: Eine intakte bauliche Struktur - auch wenn diese außerordentlich
sanierungsbedürftig ist, kleine Läden für individuelle Geschäftsideen, deren Mieten erschwinglich sind, gastronomische Einrichtungen sowie Kultur. Die
Realität sieht anders aus: Die LWB als Eigentümer des Elfgeschossers und damit Vermieter der darunter befindlichen Ladenzeile, hebt die Hände und wartet
auf umfassende Umbauarbeiten. Der KONSUM macht gar nichts und die Stadt - im speziellen das ASW - sucht seit geraumer Zeit nach finanziellen Möglichkeiten
der Aufwertung.
Denn bei allen Problemen, die ein Nachbar wie das Allee-Center verursacht: Es gibt ein Überleben neben dem Giganten, wie die Existenz des PEP seit Jahren beweist (siehe dieser Artikel). Dass der Kaufkraft-Staubsauger selbst zu kämpfen hat, wird bei einem Gang durch das Allee-Center nur allzu deutlich: Abgeklebte Schaufenster verdecken leere Geschäfte, Räumungsverkäufe, Billigläden.
Die Gründe dafür lassen sich nur vermuten. Ein Gespräch lehnte das Center-Management sinngemäß mit den Worten: Man wolle mit uns reden, wenn es etwas Positives zu berichten gibt, ab. Mit seiner überregionalen Kundenklientel konnte das Center bislang sogar die deutliche Schrumpfung Grünaus gut abfedern.
Nahversorger wie der Ratzelbogen und das Zentrum an der Kotsche waren und sind schon lange davon massiv betroffen. Letzteres beherbergt erfreulicherweise zwar endlich wieder ein großes Polizeirevier. Doch kann diese Ansiedlung schwerlich als Besuchermagnet herhalten.
Sollte in absehbarer Zeit die Bibliothek wie geplant ins Bildungszentrum in die Mitte Grünaus ziehen, verliert dieses D-Zentrum einen wertvollen Bestandteil seines ansonsten eher beschaulichen Angebotes. Gleiches gilt übrigens für die Bibo im WK VII und könnte auch der ansonsten gut aufgestellten Miltitzer Allee auf die Füße fallen, sollte das KOMM-Haus mal wegziehen.
Die Ursachen für den Besorgnis erregenden Zustand mancher Zentren sind zwar vielschichtig. Aber ein Umstand spiegelt beinah signifikant den Zustand Grünaus in punkto Nahversorgung wider: Während sich in den vergangenen 23 Jahren die Einwohnerzahl des Stadtteils halbiert hat, stieg die Zahl der Einzelhandelseinrichtungen im gleichen Zeitraum immens an. Was bleibt ist das alte Spiel von Nachfrage und Angebot.
Klaudia Naceur