»Man muss auch mal was zurückgeben«
Freiwillige Helfer putzen Trinkplätze in Grünau
Es regnet in Strömen, als sich am Vormittag des 11. April eine Gruppe von etwa 20 Leuten auf den Weg durch ihren Stadtteil macht -
»bewaffnet«
mit Schaufeln, Harken, Rechen, Greifern und Müll - tüten. Es ist Putztag. Zwei so genannte Trinkplätze sollen vom
auffälligsten Schmutz befreit werden und zwar bestenfalls von ihren Nutzern.
Dazu aufgerufen hatte das Suchtzentrum Leipzig (SZL) im Zusammenhang mit dem alljährlichen Frühjahrsputz, bei dem Vereine, Verbände und Privatpersonen
angehalten sind, ihr Umfeld ein wenig auf Vordermann zu bringen. »Wir haben Gleiches schon zweimal in Lindenau veranstaltet - mit positiver
Resonanz. In Grünau ist es eine Premiere«
, erzählt Jacqueline Bellstedt. Die Streetworkerin ist eine von insgesamt fünf Mitarbeitern (drei
Sozial- und zwei Bürgerarbeiter), die im Wechsel zweimal wöchentlich im Stadtteil präsent sind, Trinkplätze aufsuchen, nach dem Rechten sehen, Hilfe
anbieten oder einfach mal mit ihrer Klientel plaudern.
Heute begleitet sie die kleine Putzkolonne. Neben den Platznutzern haben sich auch Bewohner des Heimes am Kirschberg eingefunden. »Das war
überhaupt nicht geplant. Die Leitung rief mich gestern an und heute laufen die Leute mit. Ich finde das toll«
, freut sich Bellstedt über die
spontane Unterstützung.
Erster Anlaufpunkt an jenem Vormittag ist der Platz hinter NETTO Karlsruher Straße. Dort hat sich neben dem üblichen Trinkplatzmüll (Kippen,
Kronverschlüsse und Schluckideckel) vor allem jede Menge altes Laub angesammelt. Der Platz wird von einem siebenköpfigen Grüppchen genutzt. Dirk ist einer
von ihnen - obwohl er betont, dass er nur noch sporadisch »zu Besuch kommt«
.
Der 47-jährige Grünauer wird seit eineinhalb Jahren vom Suchtzentrum in der Plautstraße betreut. Für ihn ist die Teilnahme am Frühjahrsputz Ehrensache:
»Ich kann nicht immer nur zur Jacqui gehen und etwas von ihr wollen. Man muss auch mal was zurückgeben«
, meint der Mann in Regenjacke
und füllt nebenbei die bereitgelegten Müllbeutel. In den letzten beiden Jahren hat er sich bereits in Lindenau engagiert - heute nun praktisch vor der
Haustür. Der Ort ist relativ schnell gesäubert und die Freiwilligen laufen - neugierig beäugt von Passanten - im sintflutartigen Regenguss die Alte
Salzstraße entlang zur Stuttgarter Allee.
Die zuvor ausgeteilten Regenponchos haben nur wenige von ihnen angezogen. Der Ton ist rau, die Späße derb, die Stimmung trotz des Wetters gut.
Jacqueline Bellstedt ist mittendrin und gibt einen kleinen Ausblick auf die nächste Aufgabe: »Jetzt«
, so meint die junge Frau und lacht
wissend, »kommt eine richtige Herausforderung«
. Sie sollte Recht behalten: In einer kleinen Rabatte vorm KONSUM liegen hunderte
Kronverschlüsse - viele so tief im Boden versenkt, dass man sie nur mitsamt der Erde entfernen kann - und das Gebüsch beherbergt jede Menge Flaschen, die
selbst mit Greifer schlecht heraus zu befördern sind.
Die Sozialarbeiterin packt mit an, dirigiert und interveniert, als ein Helfer den aufgestellten Pappkarton wegräumen möchte. »Bloß stehen
lassen«
, ruft sie. »Das ist die Müllkiste und die ist den Leuten hier heilig.«
Von »den Leuten«
, die sich
normalerweise vorm KONSUM tummeln, hat sich übrigens keiner blicken lassen - erst nach dem Aufräumen trudeln sie peau a peau an ihrem Platz wieder ein und
werden freundlich begrüßt. Man kennt sich. Man akzeptiert sich. Man mahnt scherzhaft zur künftigen Sauberkeit.
Dass sie für andere den Müll aufsammeln und dafür eventuell belächelt werden, hat scheinbar Niemanden gestört. »Warum soll mich das ärgern? Als
Hundebesitzer habe ich ein persönliches Interesse daran, dass nicht überall Scherben und Verschlüsse rumliegen«
, liefert Dirk die Begründung für
die eigene Motivation. Seinen Einfluss auf die Anderen im Alltag sieht er allerdings ganz nüchtern: Klar versuche man das. Aber das sei wie Wasser in die
Elbe kippen, lacht der 47-Jährige und klingt dabei alles andere als resigniert.
Jacqueline Bellstedt hingegen glaubt an den positiven Effekt, den eine solche Aktion mit sich bringt: »Ich denke schon, dass das
nachwirkt.«
Allein, dass sich so viele beteiligt haben, sei bereits ein Beweis dafür, dass man die betroffenen Menschen im Stadtteil ereiche.