Sturm ist erst, wenn Schafe keine Locken mehr haben
Gudruns Internet-Blog übers Spinnen kommt mitten aus der Platte
Gudrun Ebert kennt Grünau von der ersten Stunde an. »Ich wohne gern in der 'Platte', deren Ruf schlechter ist, als es sich tatsächlich hier wohnt.«
Das postet eine, die sich gut erinnern kann an die Anfänge, an die ersten unbefestigten Wege. An die Notlösung, ihre drei halbhohen Stromer »komplett in die Wanne zu stellen und abzubrausen«, bis unter Lagen von Abenteuerschlamm das geliebte frohe Lächeln in den Gesichtern wieder erkennbar war.
Inzwischen sind sie groß, die drei. Der Junge Lehrer an einer Berliner Schule für Fotografie, ein Mädchen Psychologin, die Jüngste studiert noch, arbeitet schon nebenher als Lektorin und Texterin und lässt Gudrun Ebert heimlich schon von Enkeln träumen ... Verflixt, wie die Zeit vergeht. Hatte sie sich nicht eigentlich gerade erst im Leben eingerichtet?
Mit frisch bestandener Pädagogikprüfung beim Leipziger Professor Mehlhorn. Einem, der sie schon in den 90ern inspirierte, kreativ zu sein. Offen für Neues. Auszuprobieren. Dazuzulernen. Eine Leidenschaft und Lebenshaltung, die sich Gudrun Ebert bis heute bewahrt hat. Stand da nicht eben »postet«?
Richtig – sie bloggt. Ist topfit im Internet. Fotografiert. Beschreibt. Malt. Mit Grafiktablet und Zeichengriffel. Reife Leistung für eine Sechzigjährige. Aber wer sie persönlich trifft, nimmt ihr das Alter sowieso nicht ab. Aufgeschlossen ist sie. Hellwach.
Engagiert. Lässt in ihrem Blog schon mal Heine zu Wort: »Fatal ist mir das Lumpenpack / das, um die Herzen zu rühren / den Patriotismus trägt zur Schau / mit allen seinen Geschwüren.« (Heinrich Heine. Deutschland ein Wintermärchen. Caput XXIV.) Ist montags mit Gleichgesinnten in ihrer City. Mittendrin. Weltoffen. Gesicht zeigend. Und kommt auch schon mal durchgefroren und knurrend heim in ihre »Weiber-WG«, zu ihren beiden Katzendamen, die sich nach Gudruns warmer Dusche schnurrend und anerkennend an Frauchen kuscheln. »Es war gut, dass ich da war.«
Und dann ist da noch die andere Seite der Gudrun Ebert. Eine, die durch die Schönauer Lachen streift. Durch ihren Garten in Lindenau. Durch den Schönauer Park. Schlehenblüten und Holunderdolden sammelt, Hagebutten, Löwenzahn und Pastinaken. Tee und Kräutersäckchen zusammenstellt. Holundersuppe kocht. Und Badekugeln formt.
Bei einem ihrer Streifzüge ist sie über die Leipziger Großstadtschäferin gestolpert. Von Kerstin Doppelstein hat sie dann prompt einen Sack frisch geschorener Wolle bekommen. »Das roch noch zu Hause nach Schaf.« Irgendwann musste sie sich damit auseinandersetzen, wie man die Wolle reinigt, verspinnt, verwebt, verfilzt, färbt oder knüpft. Damals bot die Waldorfschule einen Spinn-Kurs an. Heute ist Gudrun Ebert selbst so weit, ihr Handwerk weiterzuvermitteln.
Besucht mit Handspindeln und Filznadeln Kindergärten und Seniorentreffs. Spinnt. Webt. Strickt. Jüngstes Projekt: Knüpft. Beim Schau-Scheren auf der diesjährigen Hobby-Messe kann sie nicht anders. Lässt sich die wertvollen »Reste« aushändigen und legt los. Mitten in der Grünauer Platte entsteht ein handgeknüpfter Teppich aus Schafwolle! Und das ist nur eine ihrer täglichen »Spinnradgeschichten.de«.
Silke Heinig