Grün-As
Leipzig Grün-As Stadtteilmagazin

Mordshunger

Eine Mord- und Heimatgeschichte des Grünauer Autors Jürgen Leidert
Teil 10

Mein Cousin riss immer wieder ein, was ich mit den Bausteinen errichtet hatte. »Gunter, lass das, du weißt, du bekommst sonst deine Ohren abgeschnitten, das ist mein vollster Ernst!« Er aber lachte frech, »du kannst ja gar nicht richtig bauen, jetzt ist Krieg, da wird von mir alles weg gebombt, so ist das.«

Da ging ich ins Nähkästchen von Tante, holte die große Schneiderschere heraus, zeigte sie Gunter und sagte: »So, jetzt wollen wir mal sehen, wer den Krieg gewinnt, die Ohren werde ich dir abschneiden!«

Der Schlingel rannte um den großen runden Stubentisch unter dem wir bislang saßen und unter dem wir nicht zu Einvernehmen gefunden hatten. Ich rannte hinterher und versuchte ihn mit der Schere in die Ohrläppchen zu schneiden.

Ich hatte ihn mehrmals erwischt und er blutete an den Ohren. Sein Gezeter war nicht zu überhören, Tante und Mutti betraten die Stube und waren entsetzt über meine Justiz am geliebten Gunti.

»Was hast du dir denn dabei wieder gedacht, darf man denn einem anderen so brutal wehtun? Warst wohl letztens nicht lange genug im Rattenkeller!« Ich gab zur Antwort, »er hat mich nicht Spielen lassen und auch nicht mitgespielt, sondern mir immer alles wieder zerstört. Ihr habt selbst gesagt, wer nicht hört, bekommt die Ohren abgeschnitten.«

»Das ist doch nicht wörtlich gemeint, Jörg, sonst hättest du doch schon lange keine Löffel mehr. Aber schlechtes Benehmen und für solche Bösartigkeit, muss Strafe sein. Solltest du nochmal sowas als Spiel verstehen, fährst du für immer nach Hause, dann will ich dich hier nie mehr sehen!«

Mutti hatte inzwischen Heftpflaster geholt und Gunters blutende Ohrläppchen versorgt. Ich entschuldigte mich bei meinem Cousin und wir gaben uns wieder die Hand. Die kleine Blutrache an Gunter blieb mir aber für immer unvergessen, zumal der Osterkuchen im Herd durch mein Verschulden nun fast etwas angebrannt war.

Am Folgetag war warmer Sonnenschein. Mutter meinte zu Tante, »höre Marla, der Bauer Rietzschold hat mir gestattet auf seiner Wiese hinterm Dorf Feld- und Wiesenchampignons zu ernten, der alte Fuchs, mit den Augen hat er mich fast verschlungen und er hofft, dass wir ihm etwas zum Tausch anbieten. Dafür können wir verschiedene Produkte von seinem Hof bekommen. Ich werde ihm vorschlagen, er bekommt von mir ein Kaffeeservice von der Marke Rosenthal/Selb-Bavaria. Da ich bei ihm Chancen habe, hole ich soviel wie möglich raus. Ich muss natürlich erst nach Ostern das Service von Leipzig holen, aber vielleicht gibt er schon vorher ein Huhn und etwas Butter!«

»Ja, versuch' dein Glück, aber lass dich von seiner Alten nicht erwischen, die kann vor Eifersucht die Sache vermasseln!«

Mutter hatte sich mir zugewandt, »du nimmst den Korb für die Pilze. Hoffentlich treffen wir nicht auf die Stannebeins. Der kleine der Brüder mag ja ganz normal sein, aber den die alte Frieda Stannebein mit in die Ehe gebracht hat, der lange Lulatsch ist ja etwas des Geistes gestört. Na, zuerst gehen wir nach den Pilzen sehen. Wenn wir den Korb voll haben, gehen wir erst nach Hause die Ernte abliefern, danach zum Bauer! Er muss nicht sehen, wie viel wir gefunden haben.«»Ja, Mutti ich freue mich auf das Sammeln der Champis auf der Wiese, nimm aber etwas Wasser oder Tee zum Trinken mit, bei der Wärme werden wir Durst bekommen.«


Weiter>>>
Karte