Mordshunger
Eine Mord- und Heimatgeschichte des Grünauer Autors Jürgen Leidert
Teil 11
Meine Mutter nahm mich an der Hand, »na, komm Söhnchen, jetzt werden wir sehen, wie wir unseren Küchenzettel etwas bereichern können. So ein Wetterchen, das wird richtig Spaß machen!«
Und zu ihrer Schwester, »wirst ja sehen, wann wir wieder hier sind! Auf geht's!«
Wir gingen nicht die Dorfstraße hoch, sondern an Tante Marlas Haus links den Erlenweg hinunter, dann
rechts einen Hohlweg, der hinter dem Ort entlang führte und fast punktgenau auf die von Emil Rietzschold beschriebene Wiese führte.
Vor der Wiese standen ein paar Obstbäume, unter diese setzten wir uns. Wir hatten bemerkt, das Wattel war schon da, obwohl es noch früh am Morgen war. Das Wattel, sein eigentlicher Rufname war Axel, war allen im Dorf nur mit Spitznamen bekannt. Er kam auf uns zu, eine Gestalt, wie eine Bohnenstange, bestimmt 1,95 Meter seine Größe. Das Gesicht schmal, eingefallene faltige Wangen, eine zerfurchte Stirn, dunkelgrüne kleine Augen. Seine Beine lang aber drahtig, trat er mit großen Schritten an uns heran.
»Hä, hä, was wollns, he, hier hams nuscht zum suchn, wissns, däs is briwad, hörns! Gehnse liewer wesch, eh mor uns ins Gehesche gomm!«
Mutter entgegnete ihm: »Auf Emil
Rietzscholds Wiese habe ich ausdrücklich das Recht vom Bauer erhalten, Pilze zu sammeln, wie Sie auch, Wattel!«
Das Wattel war schockiert, traute sich jedoch nicht zu widersprechen, zumal er uns noch nie im Dorf wahrgenommen hatte. »Passens awer off, dasse geene Giftschen nehmen, am Ende des Flurstücks da
hammer nehmlisch e paar unnern Fichteln!«
Und ich sagte darauf zu ihm, »danke, Herr Wattel, aber mir wollen uns doch nicht vergiften!«
»Wermer sehn, geht schneller, wie de dengst Glehner, ma sehn, ob mor was finden tun, hä, hä, ins Gehesche därf mer uns aber nisch gomm, damit das glar is! Da gannsch ihn och e paar Giftsche indn
Gorb schmuggln!«
»Machen Sie nur Ihre Pilzaugen gut auf, ich schlage Ihnen vor, Sie gehen die linke Seite der Wiese bis zur Mitte ab und wir von der Mitte bis zur rechten Außenkante des Rasens. Wir müssen nun
beginnen, denn wir wollen dann noch zu Rietzscholds. Habe gehört, Sie helfen manche Tage auf deren Hof?«
»Ja, ja, schon gut, bin ja einverstandn, hä, ha, so gömmers machn«
,
meinte das Wattel.
Mutter gab mir noch einen Schluck Tee aus der Feldflasche. Dann gingen wir hoch hinauf auf den Wiesenhügel und begannen systematisch, die Wiese herunter nach Champignons abzusuchen.
Wir hatten Glück, etwa alle fünf Meter höchstens auseinander standen mehrere junge Pilze zusammen; wer sie zuerst entdeckt hatte, gab dann immer einen freudigen Aufschrei von sich: »Hier, wieder
welche ?!«
Der Korb war nun gut gefüllt und es war fast Mittag. Wattel riefen wir zu, »sind fertig, gehen jetzt!«
Er fuchtelte mit seinen langen Armen, »Wartens, lassens ma sehn, wasse so
mitnehm.«
Mit großen ausladenden Schritten kam er eilig über die Wiese, einen großen und einen kleinen Korb voller Champignons.
»Hä, da hammse allerhand, hä! Ich habe och e paar junge Bofiste mitgenomm, hä!«
»Sie haben ja auch zwei Körbe!«
, stellte Mutter fest. »Da haben Sie
allerhand gefunden, und ich dachte schon wir hätten viel!«
Jürgen Leidert