Grün-As
Leipzig Grün-As Stadtteilmagazin

Mordshunger

Eine Mord- und Heimatgeschichte des Grünauer Autors Jürgen Leidert
Teil 13

Das Wattel brachte die geernteten Pilze auf den Boden. Unter dem Dach hatte er seinen häuslichen Bereich, eine Matratze, eine Schlafdecke, eine Wäschetruhe, einen Krug fürs Waschwasser und eine Waschschüssel auf einem Toilettentisch.

Auf dem Boden war ein zwei Meter langer verschlissener Läufer ausgelegt, der obere Flausch so beschädigt, dass die eingewebten Ornamente kaum noch zu erkennen waren. Unter der Dachluke stand ein großer runder Tisch mit zwei Stühlen.

Ein Rasierspiegel war an einer Dachlatte aufgehängt. Auf der Truhe stand ein Kasten ohne Deckel, darin lagen Messer, Gabeln, Löffel, ein Sieb, ein Salzstreuer, verschiedene Werkzeuge: eine Zange, ein Schraubenzieher und ein Hammer, sowie zahlreiche Nägel unterschiedlicher Größe. An der Tür war ein angehängter Reisigbesen zum Fegen des Dachbodens; er wurde wohl selten benutzt. Es roch staubig und säuerlich. Sicher blieben die Dachluken meist geschlossen. Die Luft war stickig.

Vor der Bodenkammer stand eine große Holzkiste an jener Wand mit Steckdose. Auf der Kiste hatte das Wattel seine elektrische Kochplatte. Offenbar waren die Metallfüße des Kochers schon oft so glühend heiß, dass sie schon schwarz in die Kistenbretter eingebrannt waren. In der Kiste waren Regalbretter eingebaut. Auf ihnen hatte das Wattel seinen sonstigen bescheidenen Hausrat angeordnet: Töpfe, Tiegel, Teller, Tassen und eine Schüssel.

Er stellte die Pilzkörbe ab, verschloss die Bodenkammer wieder, ging die Holztreppe hinab und rief: »He, Olaf, bis nachher zum Essen, hä, hä, du Stänker!«

Die alte Kate der Stannebeins war nahe der Dorfeiche, gegenüber hatte Rietzschold seinen Dreiseitenhof. Schnurstracks eilte das Wattel dem Gehöft zu. Der Schäferhund hatte angeschlagen, auch der große Truthahn begann mit seinem lauten Geschrei: »Schuddel, juttel, huddel...«

Wattel betrat den Hof, der Truthahn hatte ein riesiges Rad geschlagen, er kam auf das Wattel mit kräftigen Flügelschlägen zu. Max, der Hund zerrte aufgeregt an seiner langen Kette. Bald war die Aufregung der Tiere verflogen und sie hatten sich beruhigt. Schließlich kannten sie das Wattel. Er suchte den Hof ab nach dem Bauer, er fand Emil Rietzschold in der Futterküche vor.

»Hä, hä, da bin isch, gonntsch ja nisch ma Mittachessn! Was solch denn machn, Herr Rietzschold?«

»Dauert einen Moment, ich muss erst die Kartoffeln für die Schweine dämpfen, du kannst sie stampfen und mit Kleie mischen. Ist das getan, sollst du den Gülletankwagen aus der Scheune holen, da helfe ich. Wir fahren ihn an die Jauchengrube, dann kannst du den Wagen mit Jauche füllen. Ich will morgen zwei Felder damit düngen.«

»Na, hä, da müssns mir awer och ma eh paar Ostereijer gehm, Herr Rietzschold. Unser ehns hat tscha sonst gar geene Graft mähr.«

Der Bauer verspricht Wattel: »Ja, du bekommst Eier, aber erst, wenn die Arbeit erledigt ist! Rutsche nicht ab, am Mauerrand der Jauchengrube ist es glatt. Du musst beim Abfüllen der Gülle sehr aufpassen! Die Grube ist fast zwei Meter tief, wenn du da abgluckerst, ist Feierabend. Sobald ich hier aus der Futterküche weg kann, gebe ich dir noch eine Leiter, damit du von oben den Jauchenwagen füllen kannst. Du musst die Verschlusskappe abnehmen, die sitzt ziemlich fest!«


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